Willkommen im „Ziferblat“
In dem Londoner Café ist Zeit tatsächlich Geld. Kaffee und Kuchen, Tee und Müsli sind kostenlos. Und dennoch geht die Rechnung für den Besitzer auf
Wer das Café „Ziferblat“im Londoner Osten betritt, fühlt sich gleich wie im Wohnzimmer von Freunden. Bücher stehen keineswegs zur Dekoration in den Regalen, sondern wirken gelesen; ein Klavier lädt zum Spielen ein. Das „Ziferblat“ist ein Café. Allerdings ein ungewöhnliches.
Es gibt Kuchen und Kekse, Kaffee und Tee, Obst und Müsli – alles kostenlos. Nur für eines müssen die Gäste bezahlen: Für die Zeit, die sie hier verbringen. Zwei Stunden kosten fünf Pfund, das sind 5,75 Euro; drei Stunden – sechs Pfund. So lange man will – zwölf Pfund.
Dieses „Pay-per-hour“-Prinzip kommt an in Großbritannien. Neben dem „Ziferblat“in London existieren drei weitere Cafés auf der Insel, zwei in Liverpool sowie eines in Manchester. In der nordenglischen Stadt wird zudem demnächst zweite Zweigstelle öffnen. Marketingmanager Ben Davies sagt: „Wir versuchen weniger ein Café zu sein, sondern wollen vielmehr einen Gemeinschaftsraum anbieten.“
Vor einigen Jahren eröffnete der Russe Ivan Meetin ein derartiges Café in seiner Heimatstadt Moskau – und setzte die Idee dann ab 2014 erfolgreich in Großbritannien sowie in anderen russischen und osteuropäischen Städten um. Das „Zifer- blat“als Ort des Verweilens statt des schnellen Konsums sei die Antwort auf veränderte Lebens- und Arbeitsgewohnheiten, sagt Davies.
An diesem Nachmittag sitzen zwei Freiberufler im Londoner „Ziferblat“– einer aus der Medienbranche, die andere Designerin – vor ihren Laptops. Drei Mütter mit ihren Babys treffen sich zum Plausch. Ein Pärchen sitzt knutschend auf der Couch. Die auslieeine genden Flyer weisen auf hier veranstaltete Yoga-Kurse und Lesungen, Konzerte und Partys hin.
Der Prozentsatz jener, die das Selbstbedienungskonzept ausnutzen und nur kurz einkehren, dafür aber überdurchschnittlich viel essen und trinken, „ist deutlich geringer als man erwarten würde“, sagt Davies. Das Konzept scheint aufzugehen. Warum also hat es das „Ziferblat“mit seinem innovativen Bezahlsystem noch nicht in deutsche oder französische Städte geschafft?
Laut Davies gebe es dafür keinen speziellen Grund. „Wir würden gerne überall in Europa sein, wie beispielsweise in Berlin, Amsterdam und Paris, zudem in den USA.“Doch: „Du willst gehen können, bevor du anfängst zu rennen.“
Er meint damit: Es wird noch ein bisschen dauern. Die Uhren ticken in diesem Café eben anders, auch wenn Zeit im „Ziferblat“tatsächlich Geld ist.