Kleider machen Leute
Der Kostümverleih Annelies in Wessobrunn verkleidet über den Landkreis hinaus
Einmal ein anderer sein! Und sei es nur für einen Tag und eine Nacht. Mondän und glamourös vielleicht? Oder doch eher ein mittelalterlicher Bauerntrampel, der die berüchtigte Sau rauslassen darf, wie es ihm passt? Ein hochgefährlicher und gefürchteter Sträfling oder eine heiß umworbene, bildhübsche Prinzessin. Einmal ein anderer sein. Einen anderen Persönlichkeitsteil ausleben, so tun als ob und träumen, wie es wäre wenn. Vielen Menschen, vor allem im Rheinland, macht das unbändigen Spaß. Jedes Jahr zu Fasching dürfen sie wieder ihrer Leidenschaft frönen. Doch wie kommt man an die entsprechende Verkleidung? Im Internet gibt es viel Billigkram, und das Kathrinchen in Landsberg hat schon vor einigen Jahren geschlossen. Wie wäre es also dieses Mal mit einem Kostümverleih?
Eva Wagner öffnet die Tür zur ausgebauten Tenne direkt neben ihrem Wohnhaus im Wessobrunner Ortsteil Haid. Sogleich steht der Besucher mittendrin. Mitten in unzähligen, übereinander gehängten Reihen voller bunter Kleider. Da gibt es klassische Faschingskostüme sowie 20er-, 50er-, 80er-Jahre-Klamotten, vieles davon noch original, dann wieder Traditionell-mittelalterliches oder auch üppige Sissikleider. Für die Herren Elvis-Ganzkörperanzüge, Knickerbocker oder Frack. Krawatten, Brillen, Schmuck, Perücken, Handschuhe und anderes Klimbimmsel wartet in Plastikkisten in der unteren Reihe oder im 60er-Jahre-Verkaufstresen, den Eva Wagner seinerzeit gemeinsam mit ihrer Mutter Annelies Huber aus der Geschäftsauflösung des Spielzeugladens am Landsberger Hauptplatz erworben hat. So war das damals: Drei Töchter gab es im Hause Huber. Alle drei haben sich schon immer gerne verkleidet, die Mama hat genäht. Wie aus dem Kinderspiel ein Geschäft wurde, erzählt Eva Wagner, geborene Huber und heutige Leiterin des Kostümverleihs. Eines Tages entdeckten sie und ihre jüngere Schwester Margit eine Zeitungsannonce: Kleiner KosSchürzen, tümladen in Füssen aus Altersgründen aufzugeben. „Mei, das wäre toll, da hätten wir immer was zum Anziehen und die Mama braucht nicht mehr zu nähen“, so dachten die Mädels damals.
Nur für sich selbst kauften sie dann den Inhalt des Ladens und stellten schnell fest, dass es doch viel, viel mehr Klamotten gebe, als sie gedacht hatten. Freunde stöberten bei ihnen und erzählten wiederum weiteren Freunden davon. So schnell ging die Mundpropaganda, dass die Frauen 1991 beschlossen, ein Gewerbe anzumelden: Annelies Kostümverleih.
Immer größer wurden sie, der Keller, alle Nebenräume und Kammern im eigenen Haus voll mit bunten Kostümen und Zubehör. Auf allen Flohmärkten der Region stöberten die Frauen und erweiterten ihr Angebot. Irgendwann, so Eva Wagner mit einem Schmunzeln, wollte ihr Mann sein Haus wieder für sich haben und baute vor drei Jahren den Damen die Tenne als Ausstellungsund Anproberaum um. Fasching ist natürlich Hochsaison bei „Annelies“, doch auch im Rest des Jahres statten sich hier Theatergruppen und Schulen aus. Zudem erfreuen sich Mottopartys immer größerer Beliebtheit, so Eva Wagner. Die Namensgeberin, Annelies Huber, ist mit ihren fast 84 Jahren heute nicht mehr dabei. Dafür macht Eva Wagners Tochter Saskia mit. Sie ist, sagt die Mutter, die Spezialistin für die besonderen Fälle, für die kreativen Aufgaben: „Wir alle legen Wert auf Details, aber Saskia ist besonders erfinderisch.“
Auch die Nachfolge ist schon gesichert: Eine von Eva Wagners kleinen Enkelinnen hätte bereits gesagt, dass sie den Kostümverleih auf jeden Fall weitermachen will. Der Fasching kann kommen.