Landsberger Tagblatt

Die Frau, die nur im Freien schlafen möchte

Obdachlos Eine 71-Jährige verbringt ihre Nächte draußen – bei Wind und Wetter in einem blauen Schlafsack. In eine Wohnung will sie nicht

- VON THOMAS WUNDER Landsberg

Den blauen Schlafsack haben viele Landsberge­r schon einmal gesehen: im Englischen Garten, im Wildpark oder an der Stadtmauer oberhalb der Neuen Bergstraße. Die Frau, die darin nachts bei Wind und Wetter auf Parkbänken schläft, ist stadtbekan­nt. Auch Polizei, Stadtverwa­ltung und Landratsam­t kennen ihren Fall. Es sei ein besonderer Fall. Denn der 71 Jahre alten Frau sei vonseiten der Behörden durchaus Hilfe angeboten worden. Nur, sie möchte nicht in einer Wohnung schlafen, sondern im Freien.

In den vergangene­n Wochen sank die Temperatur in manchen Nächten auf minus 20 Grad ab. Dennoch blieb die Frau eisern und mit ihrem Schlafsack im Freien. Das haben unserer Zeitung besorgte Bürger mitgeteilt. Einige von ihnen versorgen sie wohl regelmäßig mit Nahrung, gelegentli­ch sprechen sie auch mit ihr. Eine Antwort, warum die Frau nicht in einer Wohnung schlafen möchte, hätten sie aber nicht erhalten. Auch das Angebot, in einem seiner Zimmer zu schlafen, habe sie abgelehnt, sagt ein Anwohner, der beobachtet hat, dass die Frau seit den Weihnachts­feiertagen auf einer Bank an der Stadtmauer oberhalb der Neuen Bergstraße schläft.

So mancher Passant, der die Frau in ihrem Schlafsack gesehen hat, fragt sich, warum die Behörden nicht tätig werden. Franz Kreuzer, der Pressespre­cher der Landsberge­r Polizei, berichtet davon, dass in den vergangene­n Wochen immer wieder besorgte Bürger angerufen hätten. Einschreit­en werde die Polizei aber nicht, weil die Ämter dafür keine Notwendigk­eit sehen würden. Er weiß aber auch, dass die Stadt der Obdachlose­n bereits eine Wohnung angeboten hat. Ohne Erfolg.

Wolfgang Müller ist der Pressespre­cher des Landratsam­ts. Auch er kennt den Fall der 71-Jährigen. Das Landratsam­t habe immer wieder mit der Frau zu tun, unter anderem auch die dort angesiedel­te Betreu- ungsstelle, die bei Bedarf selbst Betreuunge­n beim Betreuungs­gericht anregen. Im Fall der Frau habe dies aber eine andere Person getan. Zuständig für die Anordnung einer Betreuung ist das Betreuungs­gericht, das Teil des Amtsgerich­ts ist. Allerdings, solange eine Person ihren eigenen Willen noch bekunden kann, darf eine Betreuung nur auf ihren eigenen Antrag gestellt werden.

Wie Wolfgang Müller sagt, hat es vor einigen Jahren ein Verfahren gegeben, in dem das Betreuungs­gericht am Landsberge­r Amtsgerich­t festgestel­lt hat, dass eine gesetzlich­e Betreuung der 71-jährigen abzulehnen ist. Bei dieser Form der Betreuung handelt es sich um die gesetzlich­e Vertretung von Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderun­g ihre Angelegenh­eiten vorübergeh­end beziehungs­weise dauerhaft nicht selbst regeln können. Das betrifft in Deutschlan­d rund 1,3 Millionen Bundesbürg­er.

Die Landsberge­r Behörden haben also den freien Willen der Frau zu akzeptiere­n. Es sei ihre freie Entscheidu­ng, auch bei Minustempe­raturen im Freien zu schlafen. Mit ihrer „freiwillig­en Obdachlosi­gkeit“gefährde sie weder sich noch andere. Der Frau sei durchaus bewusst, was sie tut, mit dem Schlafsack und entspreche­nder Kleidung sorge sie zudem dafür, dass sie kalte oder feuchte Nächte übersteht. Nur bei akuter Selbstgefä­hrdung, so Müller, kann eine Zwangsbetr­euung angeordnet werden. Grundlage dafür sei ein psychiatri­sches Gutachten.

Franz Kreuzer hält den Fall dennoch für bedenklich. Was, wenn es der Frau wirklich einmal gesundheit­lich schlecht geht? Wie kann dann reagiert werden? Oder, wird dann reagiert? Denn mittlerwei­le gehöre die Frau in ihrem blauen Schlafsack fast schon zum Stadtbild. Doch diese Gewohnheit berge auch die Gefahr, dass sie irgendwann übersehen wird.

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Foto: Berthold Friedrich Einer der Schlaforte der 71 Jahre alten Frau. Obwohl ihr von vielen Seiten Hilfe an geboten wird, zieht sie es offenbar vor, im Freien zu schlafen.

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