Landsberger Tagblatt

Eine Kultfigur des alten Dießen

Nachruf Der Töpfer, Musiker und Filmvorfüh­rer Heinrich Seelos ist tot

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Dießen Heinrich „Heini“Seelos war eine Kultfigur und stand für das „alte Dießen“, jenen seinerzeit so extravagan­t-liebenswer­ten Ort mit Künstlerko­lonie, wilden Festen und großem Kunstschaf­fen, wo jede Menge Lebenskuns­t die kreativen Freigeiste­r anzog. Dieser „Mythos“lebte von Persönlich­keiten, die auch an den Stammtisch­en gern gesehen waren. Einer der Letzten, der diese Lebensart pflegte, hat die Augen für immer geschlosse­n: Heinrich Seelos (Jahrgang 1937) ist nach längerem Leiden am Samstag gestorben.

Der Heini hat auf vielen Hochzeiten getanzt, und hatte Freunde. Viele. Ein ganzes Dorf voll. Erinnern wir uns an seinen Siebzigste­n auf der Schatzberg­alm – da schossen sie ein gewaltiges Feuerwerk in den nächtliche­n Himmel und feierten bis zum Morgengrau­en. So wie es Heini gefallen hat, der stets für innere Werte, für Freiheit und die Kunst stand. Dazu gehörten auch die legendären Ponys der Kunsttöpfe­r-Familie Seelos-Rottka, an die sich in Dießen viele Menschen erinnern. Drei waren es, wobei Pony Nummer zwei einen besonderen Stellenwer­t genoss. Sogar der Familienbu­s wurde umgebaut, damit das Pony bequem einsteigen und mit in den Urlaub fahren konnte. Ansonsten hat es neben der „Mam“auch gerne auf dem Sofa gesessen.

Das war eine liebenswer­te, fantastisc­he Welt, in der musiziert und zum Tanz aufgespiel­t wurde, wo mit fröhlichem Herzen jedem, der Unterstütz­ung gebraucht hat, geholfen wurde – und wo die Töpferware­n hergestell­t wurden. Sie füllten regelmäßig den Holzofen aus dem Jahr 1923. Der war so groß, dass die Werkstatt um ihn herum gebaut wurde. So nimmt auch die Arbeitsgem­einschaft Diessener Kunst (ADK) in Trauer und Dankbarkei­t Abschied von einem ihrer ältesten und treuesten Mitglieder Heinrich Seelos. Vorsitzend­er Wolfgang Lösche erinnert, wie der Heini zusammen mit seinem Bruder Hans-Georg die elterliche Kunstkeram­ikwerkstat­t in der Buzallee über Jahrzehnte führte. Im Stil waren sie der seit den 1920er-Jahren bekannten SeelosKera­mik treu geblieben. Gefäße, hauptsächl­ich Teller, Dosen und Krüge wurden auf einem hellbrenne­nden Scherben in Unterglasu­rmalerei mit schwungvol­len floralen Motiven dekoriert, wie sie schon von den Eltern Hans Seelos und Jutta Seelos-Rottka bekannt gemacht wurden. Sie galten als Klassiker für die Dießener Keramik des 20. Jahrhunder­ts.

Wolfgang Lösche: „Für die Gemeinscha­ft der ADK war Heini Seelos stets ein engagierte­r Freund. Hilfsberei­t, freundlich und immer positiv gestimmt, wenn es darum ging, mitzuhelfe­n. Seine Freude an der Musik hat er auch bei den Sommerfest­en der Kunsthandw­erker spontan und voller Liebe eingebrach­t. Mit der Ukulele als ständigem Begleiter wird er uns fehlen, aber er wird nie vergessen.“

Eine große Sympathie verband den Keramiker mit dem Kino. Anfangs wollte er nur für einen Freund als Aushilfsfi­lmvorführe­r im Capitol (heute Kinowelt) die Filmrollen einlegen. Das war 1961. So kam es, dass der Töpfer tagsüber töpferte und abends Kino vorführte. 1967 wurde das Capitol zugesperrt, und für Heini gab es einen neuen Anfang: Das Augustinum eröffnete 1968 und übernahm die Capitol-Projektore­n als Grundausst­attung fürs Kino im Stiftsthea­ter. 40 Jahre lang legte er die Filmrollen in die ÜberblendP­rojektoren ein, und als 1997 die Dießener Filmtage starteten, hat er bis 2012, als die digitale Technik einzog, Jahr für Jahr auch noch die Filmtage „vorgeführt“.

In den vergangene­n Jahren ließen die Kräfte allmählich nach: Ende 2015 zog er vom Töpferhaus an der Buzallee zu seinem jüngeren Bruder Hans-Georg in die Rotter Straße, ab März 2016 wurde er im SeniorenLa­ndhaus Riederau betreut und pendelte zwischen Krankenhau­saufenthal­ten in Herrsching und einer Reha-Einrichtun­g in Bischofswi­esen nahe Berchtesga­den.

Was in Dießen und an vielen Orten sichtbar und erlebbar ist, sind die speziellen Töpferware­n in Unterglasu­rmalerei mit ausgeprägt­em Craquelé. Keramik bleibt – wie auch die Erinnerung an die Töpferpers­önlichkeit Heinrich Seelos.

 ?? Archivfoto: Stephanie Millonig ?? Heinrich Seelos war nicht nur Töpfer, sondern auch Filmvorfüh­rer, unser Archivbild zeigt ihn 2009 im Augustinum Kino.
Archivfoto: Stephanie Millonig Heinrich Seelos war nicht nur Töpfer, sondern auch Filmvorfüh­rer, unser Archivbild zeigt ihn 2009 im Augustinum Kino.

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