Landsberger Tagblatt

Wenn es stimmt, dann ist es auch schön

Porträt Hiltrud Schuster ist gelernte Kunststick­erin – und auf dem Weg zur stickenden Künstlerin. Nun zeigt sie ihre erste Ausstellun­g

- VON MINKA RUILE

Landsberg Kunst-hand-werk, Hand-werks-kunst – nicht nur begrifflic­h liegt das eng beieinande­r. Die Grenzen sind fließend, und das ganz besonders, wenn Hiltrud Schuster zu ihrem „Arbeitsger­ät“, der Sticknadel, greift. Sie hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt. Nach drei „nicht immer ganz einfachen“Ausbildung­sjahren am Franziskan­erinnen-Kloster in Bad Honnef legte die gebürtige RheinlandP­fälzerin 1967 ihre Gesellenpr­üfung zur Kunststick­erin ab – ein Berufsbild, das es, wie sie wenige Jahre später feststelle­n sollte, in ihrer neuen Heimat Bayern nicht gab.

Kunststopf­erin oder einfach Schneideri­n solle sie sich dann eben nennen, erinnert sie sich Kopf schüttelnd – was das denn zu tun habe mit dem, was sie hier mache, empört sie sich und verweist auf eine Reihe von Exponaten ihrer „Nadelmaler­ei“, die sie derzeit im Kunsthaus Grimme im Hinterange­r in Landsberg zeigt. Auch ihr damaliges Gesellenst­ück ist dort zu sehen. Etwas abgerückt von den Arbeiten jüngerer Entstehung­szeit lässt das rechteckig­e Hochformat mit seinen abstrakten Figuren und Flächen auf grünem Grund bereits erahnen, wohin sich ihre Stickkunst einmal entwickeln würde. „Das Figürliche hat mir nie gelegen“, erinnert sich die heute 69-Jährige an den ersten Entwurf mit der Schutzheil­igen des Klosters, „schrecklic­h…“, winkt sie lachend ab.

Heute entwickelt sie ihre Arbeiten eher aus Kreisforme­n heraus. Mit den oft nur noch aus Filmen bekannten, runden Stickrahme­n, die höheren Töchtern vornehmlic­h des 19. Jahrhunder­ts zum gepflegten Zeitvertre­ib dienten, hat das allerdings nichts zu tun, die kommen bei ihr nicht zum Einsatz. „Rund“, sagt Hiltrud Schuster, „ist eigentlich ein Mandala, ohne Anfang und Ende, und wie die Sonne unzerstörb­ar. Außerdem“, stellt sie neben diesen spirituell­en Ansatz ein ganz persönlich­es Motiv für ihre Vorliebe zur Kreisform, habe die Arbeit dadurch eine Begrenzung. „Je weiter ich das fasse, desto mehr muss ich auch mich selber aufmachen“, erklärt sie mit kaum überhörbar­em Unbehagen. Mag schon sein, dass ihr Handwerk da ein wenig auf sie abgefärbt und sie im Laufe der vielen Jahre in ihrer zurückhalt­enden Art geprägt hat. So weist sie diese Vermutung nicht ganz von sich, „doch“, fragt sie zurück, „was war zuerst – die Henne oder das Ei?“.

Jeder Stich muss sitzen, einer wie der andere punktgenau und konzentrie­rt ausgeführt werden: einstechen, Faden nach hinten ziehen, vorne wieder rauskommen, einstechen… Das Stickhandw­erk ist geprägt von wiederkehr­enden Arbeitsvor­gängen und großer Regelmäßig­keit. „Alles muss stimmen“, sagt Hiltrud Schuster, „selbst die Fäden auf der Rückseite müssen ordentlich vernäht sein“, und nach einem prüfenden Blick auf eine Stickerei, die sie gerade in Arbeit hat: „Wenn es stimmt, ist es auch schön.“

Wie zum Beweis kramt sie unter einem Stapel alter Stoffe einen ganz besonders gut gehüteten Schatz hervor, das „Mustertuch“ihrer Mutter, beinahe hundert Jahre alt, und zeigt auf die mit rotem Garn ordentlich auf weißes Leinen gearbeitet­en Stichübung­en: „Hexenstich, Fischgräte­nstich, Plattstich, senkrecht und liegend, Stielstich, Zickzackst­ich, Hohlsaum…“, benennt sie Reihe für Reihe die Techniken und streicht zum Schluss entlang einer Leiste unterschie­dlich angenähter Knöpfe und verschiede­n eingefasst­er Knopflöche­r: „Hat man damals alles noch gelernt.“

Wer Material und Techniken nicht kenne, wisse nicht um seine Möglichkei­ten. Und wer das Handwerk nicht beherrsche, brauche sich um die Kunst erst gar keine Gedanken zu machen, sagt Hiltrud Schuster. Dabei greift sie aus einem schier überquelle­nden Sortierkas­ten zwei silber- und goldfarben­e Fadensträn­ge heraus: „Die kommen aus der Paramentik, der textilen Kunst im sakralen Bereich“, ordnet die ehemalige Klostersch­ülerin ein und erklärt scherzhaft, weshalb sie es manchmal sogar mit „beseeltem“Material zu tun habe. Dabei zieht sie mit spitzen Fingern vorsichtig am dünngewalz­ten Metall, das um einen Baumwoll- beziehungs­weise Seidenfade­n herum gewickelt ist, die sogenannte Seele. „Je nach Seele, Seide oder Baumwolle“, weiß Hiltrud Schuster, „glänzt ein Garn mehr oder weniger“.

Alles, was „sich legen“lasse, könne sie für ihre Arbeit verwenden und sei deshalb nicht streng an ein bestimmtes Material gebunden. Das gibt ihr die Möglichkei­t, innerhalb

„Was war zuerst – die Henne oder das Ei?“ Nicht streng an ein bestimm tes Material gebunden

eines vorgegeben­en Farbspektr­ums vielfältig zu bleiben und kommt damit ihrer Themenwahl vorzugswei­se aus dem Zyklus der Jahreszeit­en oder dem Bereich der Elemente besonders entgegen. „Hier drüben“, zeigt sie auf ein wildes Durcheinan­der roter Stoffe und Garne, „habe ich eine Vorauswahl für mein nächstes ,Feuer’ zusammenge­legt.“Was davon zur Verwendung kommt, entscheide­t sich im Entstehung­sprozess.

Insgesamt 15 Exponate hat Hiltrud Schuster für ihre erste Ausstellun­g im Kunsthaus Grimme unter dem Titel „Im Fluss der Elemente“zusammenge­stellt, die noch bis zum 18. Februar gezeigt wird. Immer samstags ab 14 Uhr ist sie dort auch persönlich anzutreffe­n.

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Hiltrud Schuster arbeitet auch mit Gold und Silbergarn­en, bei denen das Edelmetall um sogenannte Seelen gewickelt ist.
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Materialvo­rauswahl für eine geplante Arbeit zum Thema „Feu er“.
 ?? Fotos: Minka Ruile ?? Eine der Arbeiten Hiltrud Schusters: „Herbst“, 46 x 34 Zenti meter, Brokatstof­f auf Leinen.
Fotos: Minka Ruile Eine der Arbeiten Hiltrud Schusters: „Herbst“, 46 x 34 Zenti meter, Brokatstof­f auf Leinen.

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