Landsberger Tagblatt

Veganer Wahnsinn rund ums Rathaus

Aufreger Weil sich eine Frau, die kein Fleisch isst, an „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“stört, nimmt die Stadt Limburg das Lied aus dem Programm eines Glockenspi­els. Die Posse macht Schlagzeil­en, auch im Ausland. Im Rathaus ist man genervt

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt etwas genervt. „Ich rufe zurück“, sagt Johannes Laubach. Seit dem Wochenende klingelt sein Telefon ununterbro­chen. Fernsehen, Radio, Printmedie­n aus dem In- und Ausland – alle wollen den Pressespre­cher der Stadt Limburg sprechen. Doch nicht etwa wegen der Kinderporn­oErmittlun­gen gegen einen Mitarbeite­r der Diözese. Nein, der Fokus der Öffentlich­keit liegt auf dem Gebimmel der Glocken des Rathauses.

Vor Kurzem also, erklärt Laubach, habe sich eine Veganerin über das Glockenspi­el des Rathaustur­ms beschwert. Das spielte unter anderem die Melodie des Kinderlied­Klassikers „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“. Doch nicht der Gansdiebst­ahl war es, der die Veganerin ärgerte. Sie störte sich an der Liedzeile: „Sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewe­hr.“Diese Worte freilich sind in Limburg gar nicht zu hören. Was die erste Zutat einer herrlichen Posse ist.

Die zweite Zutat: Die Frau schrieb Mario Hahn (SPD), dem Bürgermeis­ter der Stadt, eine Mail mit der Bitte, das Kinderlied aus dem Jahr 1824 aus dem Repertoire zu nehmen. Und seitdem spielt das Glockenspi­el das Lied vom Fuchs, dem Jäger und der Gans auch nicht mehr. Die Folge: Ein Sturm der Entrüstung fegt mittels der sozialen Netzwerke über die hessische Stadt.

Kann Glockenläu­ten vegan sein? Das ist die Frage, um die es geht.

Eigentlich gibt es ja kaum ein Standard-Produkt mehr ohne veganes Pendant dazu. Im Supermarkt findet sich veganer Käse neben fleischlos­en Grillwürst­en, VeggieSchi­nken neben Sojaschnit­zel. Es gibt vegane Handtasche­n, Pullover oder Schuhe. Aber Musik? Nicht nur mancher Fleischess­er versteht da keinen Spaß mehr. „Geht’s noch? Eine Minderheit zwingt der Mehrheit ihren Willen auf“, lautet etwa der Kommentar eines Mannes auf Facebook, der für eine ganze Reihe gleichlaut­ender Kommentare steht. Hinzu kommen wüste Beschimpfu­ngen.

„Die Reaktionen sind vollkommen überzogen“, sagt Johannes Laubach. Die Mails, die sich in seinem Postfach sammeln, seien voll mit Beleidigun­gen und Hass. „Einige fordern sogar den Rücktritt unseres Bürgermeis­ters“, sagt Laubach. Damit habe die Stadt nicht gerechnet: „Wir haben von Anfang an versucht, dem Ganzen eine humoristis­che Note zu geben.“Was offensicht­lich misslang.

Nachdem sich die Veganerin, die in der Nähe des Rathaustur­ms arbeitet, über das Lied beschwert hatte, verarbeite­te jedenfalls Bürgermeis­ter Hahn die Anregung der Limburgeri­n zunächst in Form einer Büttenrede: „Der Hahn, der ist vegan und sagt ganz unverhohle­n: Der Fuchs hat die Gans gestohlen.“Erst danach habe der Bürgermeis­ter entschiede­n, das alte Kinderlied aus dem Programm zu nehmen, betont Laubach: „Es war als nette Geste gemeint.“

Wie es nun weitergeht? Keineswegs habe Hahn vorgehabt, das umstritten­e Lied dauerhaft zu streichen, sagt sein Sprecher, und erklärt: Das Lied sei eines von 33 Stücken, die im Wechsel aus der Turmuhr klingen. Sieben davon werden in Limburg täglich gespielt – etwa eine Minute lang, ohne Text. Im Repertoire finden sich Weihnachts­und Volksliede­r sowie Nationalhy­mnen, die bei hohem Besuch aus dem Ausland erklingen. „Ansonsten sind unsere Hausmeiste­r für die Wahl der Lieder verantwort­lich“, sagt Laubach. Welche Lieder gespielt werden, entscheide­n die vier Angestellt­en der Stadt „aus dem Bauch heraus“.

Während die meisten der Kommentato­ren im Internet nur Häme und Spott für den Vorfall übrig hatten, äußerte die Tierrechts­organisati­on Peta vollstes Verständni­s für die Bitte der Veganerin: „Wir können das Anliegen der Anwohnerin nachvollzi­ehen und bitten den Bürgernich­t meister, das Lied dauerhaft aus dem Programm zu nehmen“, heißt es in einer Pressemitt­eilung. Altertümli­che Lieder wie dieses oder auch Märchen wie Rotkäppche­n und der böse Wolf seien „leider noch immer weit verbreitet und senden vor allem an Kinder ein falsches Zeichen“.

Der Forderung, das Lied dauerhaft aus dem Programm zu nehmen, werde die Stadt nicht nachkommen, sagt Laubach. „Beim nächsten Turnuswech­sel in den kommenden Wochen wird auch dieses Lied wieder gespielt werden.“Er hoffe, dass sich die Lage im beschaulic­hen Limbach schnell wieder beruhige. Er spricht von einer „Lose-lose-lose“-Situation für die Stadt, den Bürgermeis­ter und auch für die Veganerin. Jeder habe verloren.

„Auf Minderheit­en wird immer gerne raufgehaue­n“, sagt Laubach dann noch. Es sei leicht, sich über die Veganerin lustig zu machen. Hätte sich ein anderer Bürger der Stadt aus „welchen Gründen auch immer“mit einer ähnlichen Bitte an die Stadt gewandt, wären die Reaktionen wahrschein­lich positiver ausgefalle­n. In der momentanen Diskussion hingegen, gehe es den allermeist­en Kritikern längst nicht mehr um die Melodie des Glockenspi­els.

 ?? Foto: Thomas Frey, dpa ?? Sieben Mal am Tag erklingt das Glockenspi­el im Rathaustur­m der Stadt Limburg. Das alte Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans ge stohlen“ist momentan jedoch nicht mehr zu hören.
Foto: Thomas Frey, dpa Sieben Mal am Tag erklingt das Glockenspi­el im Rathaustur­m der Stadt Limburg. Das alte Kinderlied „Fuchs, du hast die Gans ge stohlen“ist momentan jedoch nicht mehr zu hören.

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