Landsberger Tagblatt

Wer sagt, Mord sei ein Verbrechen?

Schüler der 12. Klasse der Freien Waldorfsch­ule Landsberg befassen sich mit drei Morden aus drei Literaturk­lassikern – und mit der Schuldfrag­e

- VON LISA GRESSER Landsberg

Woyzeck, Rakolnikov, Gretchen. Die Protagonis­ten aus Werken von Georg Büchner, Johann Wolfgang von Goethe und Fjodor Dostojewsk­ij sind jedem Literaturl­iebhaber ein Begriff. Die Schüler der 12. Klasse der Freien Waldorfsch­ule Landsberg haben diese Klassiker nun in einem Theaterstü­ck interpreti­ert, das die Mordfälle aus den Geschichte­n in ein anderes Licht rückt. „Wer sagt, dass Mord ein Verbrechen ist?“Diese (Schuld-) Frage sollte geklärt werden.

Mit „Ein Netz aus Schuld“wurde ein Stück geschaffen, das sowohl Fans der Klassiker als auch „Neulinge“begeistert. Die Zuschauer wurden mit einbezogen. Im Eingangsbe­reich und an den Ausgängen wurden Schauspiel­er platziert, die die Rolle der Gefängnisw­ärter übernahmen. Bevor das Stück losging, wurden die Besucher in Zellengrup­pen eingeteilt und von den Wärtern zu ihren Plätzen gebracht. Eine tolle Idee – auch, um eine ruhige, fast gedrückte Stimmung zu schaffen.

Interaktiv ging es weiter. Die Schauspiel­er nutzten die komplette Aula, gingen durch die Reihen des Publikums oder krochen gar darunter hindurch. Das Stück begann mit der Vorbereitu­ng der Wärter auf die Häftlinge. Es wurde gerätselt, was für Menschen das wohl sein mögen, die solch schrecklic­he Morde begangen haben. Schnell lernte man auch die Mörder kennen, als sie in ihre Zellen gebracht wurden. In dieser Szene konnte man die Zerrissenh­eit der Charaktere, ihren inneren Kampf mit der Schuld, erkennen. Als Bindeglied und Erzähler trat Mephisto, gespielt von Milon Goetz, auf. In pailletten­besetztem Mantel, mit lackierten Fingernäge­ln und toupierten Haaren stellte Mephisto einen schillernd­en Gegensatz zu den unauffälli­g gekleidete­n Angeklagte­n und Wärtern dar. Die schauspiel­erische Leistung von Milon Goetz war überragend – die Darstellun­g des Verführers verkörpert­e er perfekt. Nach und nach wurden die Morde dargestell­t: Gretchen tötete sowohl ihre Mutter als auch ihr neugeboren­es Kind, Woyzeck brachte aus einem Akt der Verzweiflu­ng seine untreue Frau um und Rakolnikov hatte sein philosophi­sches Forschungs­interesse im Kopf, als er eine Pfandleihe­rin und deren Schwester ermordete. Auch die schauspiel­erische Leistung der Mörder ist besonders hervorzuhe­ben. Marlen Krüger als Gretchen, Konstantin Stehle als Rakolnikov und Jonas Schröder als Woyzeck überzeugte­n, nicht zuletzt durch die anspruchsv­ollen Texte.

Für den Prozess wurde eine Jury aus Zuschauern zusammenge­stellt, die sich beraten sollten. In der Zwischenze­it wurden die restlichen Zuschauer in ihre Rollen eingewiese­n. Während des Prozesses wurden von den Wärtern Schilder mit Gefühlszus­tänden hochgehalt­en. Neben Ausrufen wie „Buuuh“, „schuldig!“und „hängt ihn auf!“gab es den Zusatz „Erbsen werfen“. Da sich die Jury frei entscheide­n durfte, ob die Angeklagte­n schuldig oder unschuldig gesprochen würden, mussten verschiede­ne Varianten, wie das Stück endet, einstudier­t werden – eine anspruchsv­olle Aufgabe für die Schüler. Diese lieferten eine überragend­e Darstellun­g ab. Neben der überzeugen­den schauspiel­erischen Leistung wurde ein Musikstück aufgeführt. Aber all das war keineswegs nur unterhalts­am, sondern regte auch zum Nachdenken an. Das Klären der Schuldfrag­e war ein zentraler Aspekt, der die Zuschauer sicherlich noch lange beschäftig­te.

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Foto: Julian Leitenstor­fer Das Klären der Schuldfrag­e war ein zentraler Aspekt der Aufführung in der Waldorf schule.

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