Verkehrsrisiko Senioren?
Heißt es ja oft. Aber stimmt’s? Rainer Bonhorst hat sich als „Silver-Driver“einem freiwilligen Fahr-Test unterzogen
Auch das noch. Es schneit. Und ich muss mit meinem Auto zum Fahrtest. Na ja, ich muss nicht. Der Fahr-Fitness-Check beim ADAC ist freiwillig, unverbindlich und wird keiner Behörde gemeldet. Aber die Redaktion war der Meinung, meine Seniorität sei so weit fortgeschritten, dass ich ein brauchbarer Kandidat für so einen Senioren-Test sein könnte. Stimmt ja auch. Mein altersgemäßer Reporter-Auftrag lautet also, meine Fahrtüchtigkeit als „Silver Driver“zu testen. Und wenn schon, dann richtig; unter erschwerten Bedingungen bei Sturm und Schneegestöber. Zum Glück habe ich meine Winterreifen noch drauf.
Mein Tester ist Wolfgang Hüttl. Er ist als Fahrlehrer vom ADAC offiziell für den Raum Augsburg mit dieser Aufgabe betraut. Er hat gerade selber das Seniorenalter erreicht, wirkt freundlich und abgeklärt. Das macht wohl die Jahrzehnte lange berufliche Erfahrung mit Anfängern, mit Verkehrssündern, die ihren Führerschein wiederhaben möchten, und mit Oldies am Steuer.
Seine entspannte Haltung entspannt auch mich. Das ist doch eine ganz andere Stimmung als damals, vor etlichen Jahrzehnten, bei meiner ersten und bitterernsten Führerscheinprüfung. „Gute Besserung“, sagte der Fahrprüfer, als er mir, von meiner Fahrkunst offenbar nicht begeistert, den kostbaren Lappen aushändigte. Im Laufe der Jahre habe ich mir dann die übliche Männerüberzeugung zugelegt, dass es sich bei mir um einen äußerst kompetenten, um nicht zu sagen exzellenten Fahrer handelt.
Auf Grund dieser Selbsteinstufung als Profi am Steuer habe ich mir sogar überlegt, ob ich bei dem Senioren-Fahrtest nicht absichtlich ein paar Fehler einbauen sollte, damit etwas Hübsches zu schreiben herauskommt. Das hat sich als überflüssig erwiesen. Meine unfreiwilligen Fehler reichen voll und ganz als Würze für diese Geschichte. Aber erst einmal ist Vorbesprechung. „Ja, es melden sich immer mehr ältere Fahrer zu diesem freiwilligen Test“, sagt Wolfgang Hüttl und findet das gut. Im vergangenen Jahr haben in Südbayern immerhin 235 meiner Altersgenossen mitgemacht. ADAC-Mitglieder zahlen 49 Euro, Nicht-Mitglieder 69. Dann kurvt man, vom Fachmann freundlich und kritisch beobachtet, rund 45 Minuten durch den Stadtverkehr. Und hinterher weiß man wirklich, wie es um einen steht, was man gut macht und was verbesserungsfähig ist.
„Nur ganz selten kommt es vor, dass ich einem Fahrer sage, er sollte sich lieber nicht mehr hinter das Steuer setzen“, sagt Hüttl. Er selber hat mittlerweile rund hundert Freiwillige betreut, und nur zwei-, dreimal eine solche Empfehlung ausgesprochen. Ganz unverbindlich. Der Test wird auch in kritischen Fällen nirgendwo gemeldet. Der Betroffene muss selbst entscheiden, ob er sich die Warnung zu Herzen nimmt. Aber sie ist für einen allzu wackelig gewordenen Senioren zumindest ein Anstoß, sich das mit dem Autofahren doch noch mal zu überlegen.
Ein Blick aus dem Fenster zeigt: Es schneit immer noch. Aber es ist Zeit, meine Fahrkunst begutachten zu lassen. Auf geht’s, ohne großes Getue. Nicht erst demonstrativ die Spiegel zurechtrücken oder überprüfen, ob die gelbe Notfall-Weste unter dem Sitz liegt. „Wir sind nicht in der Fahrschule“, sagt Fahrlehrer Hüttl. Und er bleibt weiter freundlich entspannt, während er neben mir im Auto seine einfachen Anweisungen gibt. Nächste links. Dann rechts. Wenn er nichts sagt, heißt das: geradeaus.
Und da haben wir schon den Salat. Geradeaus geht es zwar, aber da ist dieses Schild: Durchfahrt verboten für Kraftfahrzeuge, die mehr als 1,5 Tonnen wiegen. 1,5 Tonnen? Wer hat die denn schon! Also, munter rein in die Straße. Grober Fehler. Man muss keinen Laster fahren, um mehr als die eineinhalb Tonnen auf die Straße zu bringen. Also rückwärts wieder raus. Das hätte ein fettes Knöllchen gegeben, bestätigt mein Beobachter.
Nun gut, kleiner Fehler. Kann jedem mal passieren. Jetzt, da vorne in der Spielstraße, da passe ich besser auf. Niemand spielt da und ich fahre ganz behutsam über das schmucke Kopfsteinpflaster. Jedenfalls meine ich, dass ich behutsam fahre. Irrtum. Meine 20 Stundenki- sind doppelt so viel wie das erlaubte Schritttempo. Ich – ein Spielstraßen-Raser? Jedenfalls habe ich wieder etwas gelernt: Gefühlt langsam kann doch zu schnell sein.
Zwei Schnitzer also. Jetzt heißt es, den Rest der Strecke sauber bleiben. Aber es ist wie beim Springreiten. Wenn der erste Balken fällt, fällt auch der zweite – und leider oft auch der dritte. Der wartet an einer roten Ampel auf mich. Klar, die Ampel ist rot, aber da ist ja ein grüner Pfeil für Rechtsabbieger, dieses nette und verlockende Erbe aus der DDR. Also, langsam herantasten an die Abbiegung, nach links schauen, ob die Straße frei ist, und dann zügig dem grünen Pfeil folgen und einbiegen. Dieses war der dritte Streich. Warum? Ich hätte erst ganz anhalten müssen, ehe ich dem grünen Pfeil gefolgt bin. Mein Lehrer macht mich freundlich, aber unerbittlich auf den dritten Bock aufmerksam, den ich gerade geschossen habe. Der grüne DDR-Pfeil ist kein Freibrief. Das Ampel-Rot hat Vorrang. Also komplett stoppen. Und erst dann vorsichtig dem Pfeil folgen. Meine Begeisterung für den DDR-Pfeil lässt nach dieser Erfahrung deutlich nach. Die kleinen Grünen können ganz schön tückisch sein.
Als wir wieder beim ADAC-Verkehrsübungsplatz am Augsburger Autobahnsee zur Manöverkritik zusammensitzen, hebt Wolfgang Hüttl meine Stimmung mit einigen beruhigenden Worten. Die Fehler, die ich mir geleistet habe, sagt er, unterlaufen praktisch jedem. Sie dienen als Erinnerung daran, dass es sich nach langer Fahrpraxis durchaus lohnt, die eine oder andere Verkehrsregel wieder aufzufrischen. Ich jedenfalls habe diese Lektion gelernt. Viel wichtiger ist für Wolfgang Hüttl das allgemeine Fahrverhalten. Und da stellt er mir ein ordentliches Zeugnis aus: „Sie bewegen sich gut und entspannt durch den Verkehr.“Na, bitte. Und dann sogar ein Lob: „Die Rechts-vorlinks-Regel haben Sie sehr gut beachtet. Den Kopf immer nach rechts gedreht und genau hingeschaut, ob da auch wirklich keiner kommt. Nicht nur mal kurz aus dem Augenwinkel rübergeblickt.“Das machen, sagt er, viele falsch. Weil sie annehmen, da kommt schon keiner. Man sollte aber immer davon ausgehen, dass einer von rechts kommt.
Wunderbar. Ich kann also guten Gewissens die Urkunde entgegennehmen, die mir bestätigt, dass ich an einem Fahr-Fitness-Test teilgelometer nommen habe. Ich werde sie in Ehren halten. Aber ich frage mich: Warum sollen eigentlich immer nur Senioren einen solchen Test machen? „Die jungen Fahrer machen doch viel mehr und viel schlimmere Unfälle als die alten“, sage ich im kämpferischen Tonfall des grauen Panthers. Hüttl sieht die Sache ausgewogener. Die jungen Fahrer hätten immerhin den Vorteil, dass sie die gründliche Fahrschulung noch in frischer Erinnerung haben. Aber er räumt ein: An der psychischen Reife hapert es manchmal.
„Eben“, sage ich, „viele Junge rasen und drängeln, weil sie den Kick suchen, während wir Alten höchstens mal ein bisschen zu langsam und schlimmstenfalls mit 30 gegen eine Laterne fahren.“– „Na ja“, sagt mein Lehrer, „ganz so harmlos ist die Sache nicht. Nehmen Sie die berüchtigten Geisterfahrer auf der Autobahn. Das sind meistens ältere Herrschaften. Und die verursachen oft ganz schlimme Katastrophen.“Sollen die älteren Herrschaften also weniger Auto fahren? Ganz im Gegenteil, sagt der Fahrlehrer: mehr! Und eben ab und zu mal ihr Fahrverhalten unverbindlich testen lassen. Hüttl hält nichts davon, auf die älteren Autofahrer einzudreschen. Gerade sie brauchen ja das Auto, um überhaupt mobil zu sein. Vor allem, wenn sie auf dem Land wohnen. Sein Rezept an die 65-Plus-Generation: viel Bewegung, um körperlich fit zu bleiben. Vom Sofa direkt ins Auto – das ist gar nicht gut. Aber eben auch immer wieder das Auto aus der Garage holen und losfahren. Hüttl: „Je weniger man fährt, desto unsicherer und ängstlicher wird man am Steuer. Und damit auch gefährlicher und gefährdeter.“
So weit der Rat des erfahrenen Fahrlehrers. „Mit dem Autofahren, sagt er, „ist es wie mit dem Singen. Man muss ständig üben, sonst rostet man.“Mit dem Singen? Wie kommt er vom Autofahren aufs Singen? Ganz einfach: Wolfgang Hüttl war in jüngeren Jahren am Augsburger Theater als Sänger im Extra-Chor engagiert. Nabucco, Bajazzo, Boccanegra – überall hat er professionell mitgesungen. Stimmlich bestens ausgebildet von einem italienischen Gesangslehrer. Eine schöne Erfahrung, sagt er, bis es Zeit wurde, einen Beruf zu ergreifen, der eine vierköpfige Familie ernährt. Dann wurde der Gesang zum Feierabendvergnügen. Hochzeiten und Ähnliches. Diese künstlerische Vergangenheit ließ ihn aufhorchen, als sich eines Tages ein Herr Ötvös bei ihm meldete, um bei ihm einen FahrFitness-Check zu machen. „Ötvös? Gabor Ötvös?“fragte Wolfgang Hüttl nach. „Ja, kennen Sie mich?“„Und ob. Ich habe bei Ihnen im Chor gesungen, als Sie in Augsburg Generalmusikdirektor waren.“
So gab es dann im Auto von Gabor Ötvös, der nach seinem Augsburger Engagement viele internationale Erfolge feierte, ein musikalisches Wiedersehen. Ob sie während der Testfahrt gemeinsam gesungen haben, lässt Wolfgang Hüttl nicht durchblicken. Wohl aber, dass Herr Ötvös bei seinem Test etwas älter war als ich jetzt bei meinem. Das gibt mir die Hoffnung, dass ich in ein paar Jahren wieder einen FahrFitness-Check wagen kann.
Schon jetzt kann ich sagen: Es lohnt sich und es tut gut, vom Fachmann bestätigt zu bekommen, dass man sich weiter sicher im Verkehr bewegen kann. Selbst wenn es schneit und stürmt.