Ein verlorener Held
„Nebel im August“beleuchtet einen lange verdrängten Aspekt der Zeitgeschichte
Am Ende sind mehr als 2300 Menschen tot. Ermordet. Und niemand will es gewesen sein. Mit Giftspritzen in den qualvollen Erstickungstod. Mit wässriger Suppe in den langsamen Hungertod. Ein Ärzte-, Pfleger- und Krankenschwesternteam entscheidet scheinbar willkürlich über „unwertes“Leben. Und alle Beteiligten erhalten nach Aufdeckung lediglich milde Strafen oder werden gleich ganz rehabilitiert. So ist es geschehen, ganz hier in der Nähe, in Irsee im Ostallgäu, in den 1930er- und 40er-Jahren in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee.
Dem Journalisten und Autor Robert Domes ist es mit seinem Buch „Nebel im August“gelungen, diesem bedrückenden und schändlichen Kapitel unserer Geschichte ein sehr persönliches Gesicht zu geben, das Gesicht nämlich des Jungen Ernst Lossa. Als „Asozialer“den Eltern entrissen, von Heim zu Heim geschoben und schließlich in Irsee kurz vor Kriegsende durch zwei Barbituratspritzen ermordet. Robert Domes und der Filmemacher Kai Wessel entwickeln aus dem „gesichtslosen“Thema der Euthanasie zu Nazizeiten, einem lange verdrängten Kapitel der deutschen Geschichte, ein sehr einfühlsames und nahegehendes Porträt eines unangepassten Jungen, dessen Schicksal, wie das Hunderttausender anderer mehr oder weniger Behinderter, normalerweise in Vergessenheit geraten wäre.
Kurt Tykwer vom Filmforum und Sabine März-Lerch von TILL (den „Freunden des Stadttheaters Landsberg“) haben zum Film „Nebel im August“sowie anschließendem Gespräch mit dem Autor und langjährigen Redakteur der Allgäuer
Zeitung Robert Domes geladen. Fünf Jahre hat Domes recherchiert. Lass doch dieses grausame Thema, hätten ihm Freunde geraten, da verkaufst du keine 50 Bücher. Und jetzt gibt es schon die achte Auflage, mehrere Preise und einen viel beachteten Film. Das Thema Euthanasie habe keine große Lobby, erzählt Domes im Anschluss an den Film, zu sehr sei es mit Scham besetzt. Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen und körperlicher Behinderungen würde bis heute anhalten. Ein im KZ Ermordeter sei heute ein Held, sagt Domes. Ein in der „Irrenanstalt“Ermordeter werde immer noch verschwiegen. Der Film kommt dankenswerterweise weitgehend ohne Nazisymbole aus, verzichtet ganz auf das oft dargestellte autoritäre Herrenmenschengehabe, auf das Rumbrüllen, das klischeehaft Cholerische, das es dem Zuschauer zu oft ermöglicht, sich zu distanzieren. Nein, der Anstaltsleiter Dr. Veithausen erscheint wie ein feiner, fast väterlicher Mensch, der Wissenschaft verpflichtet. Die Ordensschwester Sophia verschließt solange die Augen vor dem staatlich legitimierten Töten, bis es tatsächlich nicht mehr zentral in Berlin, sondern in der eigenen Anstalt geschieht. Zunächst steht die ethische Rechtfertigung im Raum, wir erlösen die Menschen, denen die Psychiatrie nicht mehr helfen kann, von ihrem Leiden. So denken alle Beteiligten. Später kommt der Aspekt der materiellen Belastung der Gesellschaft hinzu und zunehmend auch die eugenische Begründung der Verhinderung der Ausbreitung von „Genen mit ungünstigen Eigenschaften“. Domes weist darauf hin, dass Euthanasie (aus dem griechischen für „schöner Tod“) bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts aus rassenhygienischen und sozialdarwinistischen Gründen propagiert wurde. Die Nazis nahmen diese Theorien auf und perfektionierten sie in bekannt grausamer und effizienter Weise. Euthanasie wurde zum Euphemismus für die geplante und systematische Ermordung von Menschen, die als geistig behindert oder anderweitig „lebensunwert“galten.
Ernst Lossa war in keiner Weise behindert, er war – so ergaben Domes’ Recherchen – ein liebenswerter, wenn auch unangepasster, vielleicht anstrengender Junge, „ein verlorener Held“, der das Pech hatte, zur Volksgruppe der Jenischen zu gehören, die zu Nazizeiten als zu „Asoziale“diffamiert wurden. Robert Domes und Kai Wessel ist ein einfühlsamer Film gelungen, der mittlerweile auch in vielen Schulen gezeigt wird. Vor zwei Wochen hat der gebürtige Augsburger Ernst Lossa nach langen Diskussionen in Augsburg einen Stolperstein erhalten. Bild: leit