Wo steckt „Johnny, der Zigeuner“?
Der Ausbrecherkönig Giuseppe Mastini hat es wieder einmal geschafft. Seine Flucht hält Italien in Atem. Nun wird vermutet, dass er sich an der Gesellschaft rächen möchte
Die Flucht des Schwerverbrechers „Johnny, der Zigeuner“(wie die Übersetzung aus dem italienischen Original „Johnny lo Zingaro“lautet) versetzt Italien bereits seit Wochen in Aufregung. Doch Giuseppe Mastini, wie der 57-Jährige richtig heißt, bleibt spurlos verschwunden. Und das ist inzwischen zum Politikum geworden.
Politiker hinterfragen bereits das italienische Strafvollzugs-System, es gibt Forderungen nach einer Untersuchungskommission und die Frage, welche Konsequenzen seine Flucht haben muss. Warum konnte der bekannte Ausbrecherkönig entkommen? Welche Verantwortung hat der Justizminister zu tragen? Und: Ist Mastini auf dem Weg nach Rom oder bereits dort, um alte, noch offene Rechnungen zu begleichen?
Es war still geworden um „Johnny, den Zigeuner“. Seit 1989 saß er im Gefängnis, zuletzt in einer Anstalt im Piemont. Seit vergangenem November gestattete ihm die italienische Justiz eine Hafterleichterung. Mastini durfte täglich zusammen mit drei Mithäftlingen den Zug nehmen, um in einer Polizeischule Hausmeisterarbeiten zu erledigen. Dann, am 30. Juni, kam der wegen Raubüberfällen, Kidnapping und mehrfachen Mordes berüchtigte Kriminelle einfach nicht zur Arbeit. Die letzten Bilder von ihm zeichnete eine Überwachungskamera am Bahnhof von Genua auf. Italienische und französische Polizisten suchen ihn seitdem fieberhaft.
Mastini ist einer der bekanntesten Verbrecher des Landes – er inspirierte Regisseure und Liedermacher zu Werken über ihn. In einem Lied der italienischen Rockband Gang heißt es: „Johnny wird sich nie ergeben. Weder Fenster noch Mauern noch Zellen können seine Freiheit begrenzen.“
Seine Geschichte ist die eines früh Gescheiterten, eines brutalen Verbrechers. Mastini entstammt einer Schaustellerfamilie mit Sinti-Wurzeln, daher sein Beiname. Erste schwere Straftaten beging er bereits im Alter von elf Jahren. Mit 15 Jahren soll er seinen ersten Mord ver- übt haben. Bei einem Raubüberfall auf einen Trambahnfahrer in Rom wurde das Opfer von Mastini und seinem Komplizen erst ausgeraubt und dann erschossen. Mastini bestritt seine Verantwortung für die Tat stets.
Es folgte die erste Verhaftung, dreimal hintereinander sollte er entkommen. Was zur Mythenbildung über ihn beitrug. Diese setzte spätestens ein, als ihm die Beteiligung an der Ermordung des Schriftstellers Pier Paolo Pasolini im November 1975 in Ostia bei Rom unterstellt wurde. Ob er tatsächlich am Tatort war, konnte nie nachgewiesen werden. Mastini jedenfalls wurde verhaftet und verurteilt.
Bei einem Freigang im Februar 1987 wurde er, inzwischen drogensüchtig, wieder gewalttätig. Bei einem Raubüberfall auf ein Ehepaar in einer Villa am Stadtrand von Rom tötete Mastini den Hausherrn und verletzte dessen Ehefrau schwer. Auf der Flucht kidnappte er ein 20-jähriges Mädchen. Als ihn die Polizei zu stellen versuchte, tötete er einen Beamten. Es war bereits die dritte große Schießerei, die sich Mastini bis dahin mit Verfolgern geleistet hatte. 1989 verurteilte ihn ein Gericht zu lebenslanger Haft.
Einem befreundeten Sozialarbeiter soll Mastini zuletzt seine Depressionen offenbart haben. Sein einziger Wunsch, sagte der, sei es gewesen, zu verschwinden. „Wenn ich eines Tages draußen bin, will ich mich an der Gesellschaft rächen, die mich so schlecht behandelt hat“, sagte „Johnny, der Zigeuner“einmal in einem Interview.