Vom Flüchtling zum Obdachlosen?
Anerkannte Asylbewerber müssen bald die Wohncontainer verlassen. Warum die Zusammenführung von Familien die Stadt und auch andere Landkreisgemeinden vor große Herausforderungen stellen wird
Die Uhr tickt. Wenn all die anerkannten Flüchtlinge, die derzeit in Asyl-Wohnunterkünften noch geduldet werden, dort ausziehen müssen, kommt eine große Herausforderung auf die Stadt Landsberg zu. Formell werden diese Menschen nämlich obdachlos, und dann ist die Stadt für sie zuständig. Dazu kommen noch anerkannte Flüchtlinge, die ihre Familien nachholen dürfen. Auch die brauchen eine Wohnung. Oberbürgermeister Mathias Neuner hat im Stadtrat bereits eine erste Konsequenz angekündigt: So wird es in der Verwaltung ab dem kommenden Jahr einen eigenen Integrationslotsen geben müssen, also einen Koordinator, der sich unter anderem um Betreuungs- und Unterbringungsmöglichkeiten anerkannter Flüchtlinge kümmern soll.
Die anerkannten Flüchtlinge sind laut der bayerischen Sozialministerin Emilia Müller „Gemeindebürger“, für deren Unterbringung die jeweilige Kommune zuständig ist. Noch werden sie in den Unterkünften geduldet und die Unterbringung vom Staat bezahlt. Damit könnte im kommenden Jahr Schluss sein, berichtete Barbara Rösner, für Asylangelegenheiten zuständige Sachgebietsleiterin am Landratsamt.
Derzeit leben 671 „Fehlbeleger“in staatlichen Unterkünften im Landkreis. Zunächst ist der Freistaat für die Dauer des Asylverfahrens, die Unterbringung und Betreuung zuständig. Mit der Anerkennung endet aber der Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und die Berechtigung, in staatlichen Unterkünften untergebracht zu werden. Das heißt: Ab da bräuchten die ehemaligen Flüchtlinge und jetzigen Gemeindebürger eine Wohnung.
Da die Kommunen dadurch vor kaum erfüllbare Herausforderungen gestellt werden, gab es eine dreijährige Übergangslösung, die besagt, dass die Fehlbeleger vorübergehend in den Unterkünften bleiben dürfen. Diese Frist läuft nun aber Ende des Jahres aus und Emilia Müller hat in einem Schreiben vom April diesen Jahres ganz deutlich anklingen lassen, dass die Zuständigkeit künftig eine kommunale sein wird.
Was bedeutet das aber für die Stadt Landsberg? Barbara Rösner hatte Zahlen mitgebracht. So leben derzeit 387 Flüchtlinge im Stadtgebiet. Davon sind wiederum 150 Fehlbeleger in Asylunterkünften. Nun ist es aber so, dass der Landkreis keine neuen Unterkünfte mehr anmieten darf, vielmehr Order hat, Mietverträge nicht mehr zu verlängern. Auch gibt es keinerlei Prognosen, wie sich die Flüchtlingszahlen künftig entwickeln. Barbara Rösner berichtet von Schätzungen, dass bereits jetzt 6,8 Millionen Flüchtlinge in Libyen auf die Überfahrt nach Europa warten. Neuankömmlinge beanspruchen aber wieder Plätze in den Asylunterkünften.
Doch die „Fehlbeleger“sind das eine, die Familienzusammenführung das andere. Unter den anerkannten Flüchtlingen gibt es bestimmte Gruppen, zum Beispiel Syrer, denen es per Generalvollmacht des Bundes ermöglicht wird, Visa für ihre Familien (Ehepartner und Kinder) zu beantragen und diese nachzuholen.
Im Landkreis Landsberg handelt es sich dabei um 122 Personen. Derzeit, so Rösner, kommen wöchentbestehende lich sieben bis zehn Personen im Rahmen der Familienzusammenführung in Landsberg an. Bei einer durchschnittlichen Familiengröße von vier Personen könnte die Zahl also auf bis 500 Personen im kommenden Jahr anwachsen, die Wohnungen, auch in Landsberg, benötigen.
„Wir soll ich die alle unterbringen?“, stellt OB Mathias Neuner eine Frage, die derzeit wohl keiner abschließend beantworten kann. Allein in der Unterkunft an der Iglinger Straße leben aktuell 54 Flüchtlinge, von denen 51 anerkannt sind. Den Mietvertrag, daran ließ Barbara Rösner keinen Zweifel, werde der Landkreis nicht verlängern. Dann müssen diese Personen raus – meist in die Obdachlosigkeit.
Betroffen im Landkreis sind insgesamt 671 Personen, in der Stadt mindestens 150, in Kaufering 85, in Dießen zum Beispiel mindestens 74. Eine erste Maßnahme hat Mathias Neuner jetzt angekündigt. „Wir werden im neuen Haushalt eine Stelle für einen Integrationslotsen schaffen müssen, wie sie in Bayern ab 1. Januar 2018 vorgesehen sind“, sagte er in der Stadtratssitzung. Wobei ihm der Begriff nicht ganz zielführend scheint. Er sucht eher einen Koordinator, der sich um die Belange der neuen Gemeindebürger kümmert.
Angesichts der Entwicklung bekommt auch die für den Herbst terminierte Abstimmung der verschiedenen Fraktionsanträge zu eben diesem Thema Wohnen im Sozialbereich zusätzliche Brisanz. Von Containern wird sich Jost Handtrack, der Referent für ausländische Mitbürger, jedoch nicht so schnell trennen können. Er hat die Entwicklung frühzeitig entsprechend eingeordnet und fordert schon seit Monaten: „Wir brauchen keine Container, wir brauchen Sozialwohnungen.“
OB Neuner hat aber vor, mit dem Bezirk Kontakt aufzunehmen und zu klären, ob eventuell die Wohncontainer, die derzeit wegen eines Umbaus am Agrarbildungszentrum für die Schüler des Hauses aufgestellt sind, im Bedarfsfall kurzfristig angemietet werden könnten.