Wie die Augsburgerin Annette Wenz seit 20 Jahren gegen Leukämie kämpft
Annette Wenz bekam die Diagnose Krebs ein halbes Jahr nach der Geburt ihres Sohnes. Einen Tag vor ihrem 21. Geburtstag. Zwei Ehen gingen auseinander. Geld fehlt hinten und vorne. Was sie am Leben hält
Der Blick in den Spiegel muss überzeugen. Er muss das Selbstbewusstsein stärken. Er muss Mut machen. Mut fürs Weiterkämpfen gegen diese tückische Krankheit. Das weiß niemand besser als Annette Wenz. Deswegen steht sie heute vor den sechs Frauen, gibt ihnen Tipps für die Haut- und Nagelpflege, fürs Schminken. All diese Frauen eint: Sie haben Krebs. Und sie alle wollen trotz der Erkrankung attraktiv sein. Trotz des Verlusts der Haare, trotz der Nebenwirkungen durch die Chemotherapie, trotz der Angst. Dass dies möglich ist, beweist ihnen auch niemand besser als Annette Wenz. Kosmetikerin. Und Krebspatientin.
Doch keiner würde der 48-Jährigen ihre lebensbedrohliche Erkrankung ansehen. Im Gegenteil. Die langen, braunen Haare zum jugendlichen Pferdeschwanz hochgebunden, perfekt geschminkt, schlank, gut gekleidet, tolle Ausstrahlung. Und wie selbstbewusst sie auftritt, wie schnell sie spricht, wie viel sie lacht. Wer weiß, dass Annette Wenz mit 21 Jahren die Diagnose chronisch-myeloische Leukämie erhalten hat und im vergangenen Dezember den vierten Rückfall überstanden hat, fragt sich nur eines: Wie schafft die Frau das?
Nun, Annette Wenz ist in Köln geboren. Sie selbst nennt sich „eine richtige rheinische Frohnatur“. Ein angeborenes Naturell also, „ohne das ich heute längst nicht mehr leben würde – das sagen mir auch immer wieder meine Ärzte“. Annette Wenz hat aber auch einen Sohn. 1990, ein halbes Jahr nach seiner Geburt, erhielt sie die Krebsdiagnose. Als wäre das nicht schlimm genug, habe sie sofort ihr Mann verlassen, „weil er auf gar keinen Fall eine kranke Frau wollte“. Die Scheidung hat sie zur unermüdlichen Kämpferin gemacht. „Denn was sollte denn sonst aus meinem Sohn werden?“Wenn sie aus der Zeit von damals erzählt, von der Transplantation, von den Abstoßreaktionen ihres Körpers, von den Schmerzen, von der Angst um ihr Leben, dann wird deutlich, was diese Frau durchgemacht hat. Vor allem, weil bereits 1996 der erste Rückfall kam. Doch dann lernte sie ihren zweiten Mann kennen. „Mit Mundschutz, Gummihandschuhen und Glatze – an der Hand meinen kleinen Sohn. Beim Einkaufen. Er war Marktleiter.“Und ihre große Liebe. Und ein wunderbarer Vater für ihren kleinen Sohn. Doch beim nächsten Rückfall ließ sie auch die große Liebe fallen. „An dieser Trennung wäre ich beinahe kaputtgegangen.“Sie war wieder allein mit ihrem Sohn. Heute ist sie ganz allein. Denn ihr Sohn, ihr ganzer Stolz, ist Architekt und lebt in Detmold in Nordrhein-Westfalen. Annette Wenz lebt seit sechs Jahren in Augsburg. Das Alleinsein macht ihr schwer zu schaffen. Vor allem sonntags. „Sonntag ist der Horror.“Da kommt sie so leicht ins Grübeln, da vermisst sie am meisten einen Arm, der um sie gelegt wird, einen Menschen, der mit ihr geht.
scheitern bei ihr doch immer wieder an der Krankheit. Vielen macht sie Angst. Viele möchten sich nicht auf ein Leben mit einer schwer kranken Frau einlassen. Auch spürt sie die Krankheit. Oft ist sie sehr schwach. Schließlich muss sie jeden Tag ein Chemotherapeutikum einnehmen. Seit Dezember, nach dem vierten Rückfall, die doppelte Dosis. Langzeitfolgeschäden des Medikaments sind ihres Wissens nach noch weitgehend unbekannt. „Ich hoffe einfach, dass ich mit diesem Medikament noch ein paar schöne Jahre habe“, sagt sie. „Geheilt werden kann ich nicht mehr. Es geht um den Erhalt des jetzigen Zustandes.“
Und um diesen Erhalt muss sie ständig kämpfen. Denn gerade die Krankenkasse mache es ihr nicht leicht. Immer wieder werde ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie zu teuer ist. Entmutigen lasse sie sich aber nicht. Im Gegenteil: „Ich reagiere dann mit Kampf“, sagt Annette Wenz, schiebt sich ihre Brille ein Stückchen höher über die Nase und blickt plötzlich sehr ernst. „Krawallbürste wurde ich auch schon genannt.“Dabei lasse sie sich nur einfach nichts gefallen – „auch nicht von Weißkitteln“. Früher sei sie so nicht gewesen. Doch die Krankheit habe sie verändert. Habe sie das Kämpfen gelehrt. Zur Not auch vor Gericht. Für den Unterhalt ihres Sohnes etwa. Und immer wieder für ihre Rehas. „Doch das kostet so viel Kraft und Energie.“
Hinzu kommt die ständige Sorge ums Geld. „Krebs macht arm“, sagt Annette Wenz. Sie bezieht seit ihrem 25. Lebensjahr eine Erwerbsminderungsrente, ist hundertprozentig schwerbehindert. 450 Euro verdient sie sich dazu. Bei der ParBeziehungen fümerie Douglas in der Filiale in der Augsburger City-Galerie. Bei Douglas hat sie auch gelernt. Douglas unterstützt die DKMS, die Deutsche Knochenmarkspenderdatei. Daher kann Annette Wenz Kosmetik-Seminare wie an diesem Freitag in Augsburg anbieten.
Unterstützt wird sie von der Fotografin Chris Keberle, die VorherNachher-Bilder von den Frauen macht. Auch Chris Keberle hatte Krebs. „Ich will den Frauen mit meinen Fotos zeigen, dass es Schlimmeres gibt als eine Glatze.“Annette Wenz nickt. Sie verfolgt aber noch ein Ziel mit ihren Seminaren, die sie ehrenamtlich gibt: „Es ist für mich eine Herzensangelegenheit, den Frauen zu zeigen, dass es sich in jeder Phase des Lebens zu kämpfen lohnt.“Und leichter kämpfe es sich, wenn der Blick in den Spiegel stimmt.
Sonntags ist das Alleinsein am schlimmsten