„Ich höre sogar das Rascheln der Blätter“
Hals Nasen Ohren Heilkunde Für ertaubte Menschen kann ein Cochlea-Implantat ein wahrer Segen sein. Doch mit der Operation ist es nicht getan – die Mitarbeit der Patienten ist wichtig
Kaiserslautern/Augsburg Der Hörsturz kam über Nacht: Eines Morgens wachte Patricia Koster-Crumb auf und war auf einem Ohr taub. So blieb es 16 Jahre. „Die Ärzte haben immer gesagt: ‘Da kann man nichts machen.‘ Mit der Zeit habe ich mich damit abgefunden.“Dabei war der Alltag für sie manchmal ziemlich anstrengend: Bei Gesprächen war sie darauf angewiesen, von den Lippen abzulesen und Gestik sowie Mimik ihres Gegenübers zu interpretieren. Eines Tages las sie in der Zeitung von Cochlea-Implantaten und wandte sich an das örtliche Krankenhaus. Sabine Bader, Leiterin der Hördiagnostik und -beratung der HNO-Klinik des Westpfalz-Klinikums Kaiserslautern, kam nach umfangreichen Voruntersuchungen zu dem Schluss, dass so ein Implantat für die Patientin tatsächlich in Frage komme. Nach einigem Überlegen entschied sich Koster-Crumb für den Eingriff.
Unvergesslich ist für sie der Moment, als ihr nach der Operation der Sprachprozessor angelegt wurde, der das Hören ermöglicht: „Der Arzt hat mit einem Löffel an die Tasse geschlagen und ich habe erstmals wieder gehört! Das war Wahnsinn! Ich kriege heute noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.“Bis sie die Geräusche aber einordnen und Sprache verstehen konnte, war es noch ein langer und anstrengender Prozess. Immer wieder musste sie das Hören mit Cochlea-Implantat (CI) trainieren, immer wieder wurde das Gerät neu eingestellt. Heute, rund eineinhalb Jahre nach dem Eingriff, hört sie mit dem ehemals tauben Ohr fast genauso gut wie mit dem anderen: „Ich höre sogar das Rascheln der Blätter.“
Bei einem Cochlea-Implantatsystem handelt es sich um eine elektronische Hörprothese für Menschen, deren Innenohr geschädigt ist. Es besteht aus einem äußeren Teil, einem Sprachprozessor, der hinter dem Ohr getragen wird, und einem Implantat, das in die Ohrschnecke eingesetzt wird. Dabei fängt das Mikrofon des Prozessors Schallsignale die in elektrische Signale umgewandelt, verarbeitet und an das Implantat im Ohr gesandt werden. Dort werden die Impulse an Elektroden in der Hörschnecke (Cochlea) geleitet, die den Hörnerv stimulieren. So kommen die Signale im Gehirn an und werden dort als Hören wahrgenommen.
Die Implantate gibt es schon seit über 30 Jahren, doch werden sie laufend weiterentwickelt. Sie werden heute auch viel häufiger eingesetzt als in der Anfangszeit. Inzwischen gehen Ärzte nämlich davon aus, dass das System für sehr viel mehr Menschen geeignet ist, als man früher annahm. Nicht nur Kinder, die gehörlos zur Welt kommen, können davon profitieren, sondern auch ertaubte oder stark schwerhörige Erwachsene.
„Wenn jemand mit einem Hörgerät nicht ausreichend zu versorgen ist, kommt für ihn ein Cochlea-Implantat in Frage“, sagt Prof. Johannes Zenk, Direktor der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Klinikum Augsburg. Einen ersten Anhaltspunkt liefert ein Sprachverständlichkeitstest: Eine Grundvoraussetzung für ein CI ist erfüllt, wenn ein Patient auch mit Hörgerät weniger als 50 Prozent einsilbiger Wörter wie „Haus“oder „Rad“versteht. Außerdem ist es üblich geworden, auch einseitig taube Menschen – wie Koster-Crumb – mit dem Gerät zu versorgen. Bei ihnen ist das Stereohören und Sprachverstehen eingeschränkt.
„Wir behandeln hier häufig Patienten, die mitten im Berufsleben stehen und nach einem Hörsturz plötzlich auf einem Ohr ertaubt sind“, berichtet Zenk. Mitunter hat er es aber auch mit extremen Fällen zu tun, in denen Patienten infolge von Krankheit gar nicht mehr hören. „Zum Beispiel hatten wir eine Patientin, die nach einer Autoimmunerkrankung beidseitig ertaubt war“, sagt der HNO-Arzt. „Mit ihren Implantaten kann sie jetzt fast wieder normal hören.“Solche Patienten seien meist sehr erleichtert und enorm dankbar.
Daneben versuchen Ärzte vor allem, Kindern, die gehörlos zur Welt kommen, mit einem CI-System zu helfen. Viele davon können mit intensiver Förderung Sprache später normal verstehen und sprechen. Doch wie bei allen anderen Patienten kann das Gerät nur dann funktionieren, wenn der Hörnerv intakt ist. Bei Jugendlichen und Erwachsenen gibt es noch eine weitere Einschränkung: Wenn sie schon ertaubt sind, bevor sie sprechen gelernt haben, ist der Eingriff in der Regel wenig sinnvoll. Die Chance, dass in einem solchen Fall mit Implantat ein Sprachverstehen möglich ist, ist nämlich sehr gering. Grundsätzlich ist es wichtig, möglichst bald nach dem Ertauben ein CI einzusetzen. So berichtet Zenk: „Je länger die Ertaubung zurückliegt, desto schwieriger wird es, wieder ein gutes Hörvermögen zu erlangen.“
Um festzustellen, ob für einen Patienten ein Cochlea-Implantat geeignet ist, bedarf es umfangreicher Untersuchungen. Die Operation selbst, bei der das Implantat ins Ohr gesetzt wird, ist den Experten zufolge vergleichsweise komplikationsarm. „Der Eingriff dauert heute eine gute Stunde“, sagt Zenk. „Das ist vergleichbar mit einer mittelgroßen Ohr-Operation. Wenn man das häufig macht, handelt es sich um einen Routine-Eingriff.“Am Klinikum Augsburg seien für dieses Jahr knapp 40 CI-Implantationen geplant, im kommenden Jahr sollen es 50 bis 60 sein.
Doch mit der Operation ist es nicht getan. Die Patienten müssen das Hören mit Cochlea-Implantat nämlich trainieren, bis sie Sprache verstehen können. Das System muss zudem laufend neu eingestellt werden, um es zu optimieren – auch dabei ist die Mitarbeit des Patienten wichtig. Wie lange es dauert, bis sich größere Erfolge einstellen und wie gut man überhaupt zurechtkommt, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Die allermeisten, sagt Zenk, profitieren jedenfalls von dem Implantat: „Bei richtig gestellauf, ter Indikation liegt die Wahrscheinlichkeit, damit besser als mit einem Hörgerät zu hören, bei circa 90 Prozent.“
Allerdings muss man sich darauf einstellen, dass die Höreindrücke, die das Implantat vermittelt, zunächst anders klingen als die gewohnten. „Es handelt sich schließlich um andere Reize als die, die der Hörnerv kennt“, sagt die HNOÄrztin Bader. Wie die Patienten das Hören aber letztendlich erleben, ist ebenfalls unterschiedlich. Manche nehmen die Töne und Stimmen als metallisch wahr, andere als verzerrt, wieder andere hören einen Nachhall. Und nicht immer ist alles angenehm, was man hört: „Ich nehme auch störende Geräusche wahr“, berichtet Koster-Crumb. So ist das Knistern von Plastik oder das Piepsen eines Scanners für sie mitunter sehr unangenehm, fast schmerzhaft. Immerhin kann sie das Mikrofon am Kopf dann auch einfach abnehmen.
Die Patienten sind oft enorm dankbar