Wer ist der Doppelmörder von Hirblingen?
Justiz Netter Junge, Angeber, Stalker: Waldemar N. hat mehrere Gesichter. Wie sein Alibi im Prozess geplatzt ist
Augsburg Wie er da so sitzt, Seitenscheitel und Notizen machend, könnte man ihn für einen Versicherungsvertreter oder einen Autoverkäufer halten. Er ist auch bisher nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Scheinbar ein normaler, netter junger Mann. Doch vieles spricht dafür, dass er ein Doppelmörder ist. Wie passt das zusammen? Wer ist dieser Waldemar N., der im Dezember 2016 seine lesbischen Nachbarinnen bestialisch ermordet haben soll?
N. wird am heutigen Freitag 32. Zum ersten Mal wird er den Geburtstag nicht in Freiheit mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester feiern können. Er wird den Tag im Gefängnis von Gablingen und im Schwurgerichtssaal des Augsburger Landgerichts verbringen. Es wird ein trauriger Tag. Aber wird N. das so empfinden? Er wirkt seltsam ungerührt im Prozess, obwohl über sein Schicksal entschieden wird. Er selbst sagt, er sei zu keinerlei Gefühlsregung fähig. Das hat er seinem Notizbuch anvertraut und einem Zellengenossen erzählt. Ist Waldemar N. ein Mensch ohne jegliche Empathie?
Fotos auf seinem Facebook-Profil zeigen einen jungen Mann, der den Freuden des Lebens nicht abgeneigt ist: Er posiert in Badehose am Strand, es gibt Urlaubsbilder aus Dubai, Fotos einer Hochzeit. N. hatte mehrere Freundinnen in seinem Leben, er feierte offenbar gerne mit Kumpels. Alles ganz normal. Doch die Ermittler haben Hinweise gefunden, dass er sich auch mit den kruden Thesen der Reichsbürger und seltsamen Dämonenbeschwörungen beschäftigte. Staatlichen Institutionen soll er misstrauisch bis ablehnend gegenüber stehen. Das macht die Augsburger Kripo daran fest, dass N. sich bei Polizeikontrollen im Auto „aufspielte“: Er behandelte die Beamten herablassend und verwies auf seine Rechte. Auf Facebook hat er einen Aufnäher gepostet, auf dem steht: „Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz“. Zudem berichtet eine Ex-Freundin von N., dass er ihr penetrant nachgestellt habe – die Ermittler sprechen von Stalking. Steckt hinter der gewöhnlichen Fassade eine merkwürdige Gesinnung?
Geboren ist Waldemar N. am 6. Oktober 1985 in Kasachstan. Die Familie siedelte nach Deutschland über. 1996 zog sie in den Gersthofer Ortsteil Hirblingen. N. machte den Hauptschulabschluss, eine Lehre als Feinmechaniker brach er ab. Später machte er eine Ausbildung zum Industriemeister. Sein Vater starb. N. lebte vor seiner Verhaftung mit seiner Mutter und seiner Schwester in einem Haus. Er bewohnte allein eine Einliegerwohnung im Obergeschoss. Das Anwesen gehört der Familie, Waldemar N. hat für den Hauskauf einen Kredit aufgenommen, das Haus gehört ihm also zum Teil.
Die Staatsanwaltschaft hält die finanziellen Verhältnissen des Angeklagten für „desolat“und sieht darin das Motiv für den Doppelmord. Die Ermittler gehen davon aus, dass N. am finanziellen Limit lebte. Insgesamt nennt die Staatsanwaltschaft eine Schuldensumme von 130 000 Euro. Neben den Kreditverbindlichkeiten soll er seinen Dispokredit jeden Monat ausgeschöpft haben. Dokumentiert ist auch ein Darlehen für eine Fernreise. N. fuhr einen weißen 3er BMW, immer wieder besuchte er Spielbanken.
War sein Lebensstil zu aufwendig für das, was N. als Maschinenführer verdiente? Wurde er daher aus Habgier zum Mörder der beiden Nachbarinnen, die recht vermögend waren? Am Morgen des 9. Dezember 2016, ein Freitag, soll Waldemar N. laut Anklage zu den Nachbarinnen gegangen sein, sie mit mehr als 30 Messerstichen niedergemetzelt und ihre Bankkarten gestohlen haben.
Doch wann und wie genau sich die Tat abgespielt hat, ist unklar. An der Rekonstruktion der Ermittler gibt es Zweifel. Ein junges Paar, das im Haus der lesbischen Frauen zur Miete wohnt, ist sicher, dass es Beate N. an jenem Freitag abends gegen 21.30 Uhr getroffen hat. Dabei bleiben die beiden am Donnerstag auch auf Nachhaken der Richter.
Auf der anderen Seite ist N.s Versuch, sich ein Alibi für die Tatzeit zu besorgen, gescheitert. Er hatte bei der Polizei behauptet, er habe am Freitagmorgen nach der Nachtschicht noch für einen Arbeitskollegen gearbeitet. Doch dies weist der Kollege entschieden zurück. Damit hat Waldemar N. kein Alibi.
Der Prozess wird heute fortgesetzt. Zum 32. Geburtstag des Angeklagten werden viele Freunde in den Gerichtssaal kommen – als Zeugen.