Wie gefährdet sind Klinik Patienten?
Gesundheit Pflegekräfte erzählen, warum sie immer öfter an ihre Grenzen kommen und welche Folgen das hat
Augsburg Patienten pflegen. Ihnen helfen, gesund zu werden. Ihnen beistehen, wenn sie erschreckende Diagnosen erhalten – das ist seins. Deswegen hat er die Ausbildung zum Krankenpfleger gemacht. Deswegen arbeitet er nicht mehr in seinem ersten Beruf als Kfz-Mechatroniker. Der Zivildienst habe ihm gezeigt, wo sein Platz ist: an der Seite von Menschen. Doch vier Jahre in der chirurgischen Abteilung einer Klinik in der Region haben ihm auch gezeigt: „Unter diesen Arbeitsbedingungen halte ich höchstens noch zehn Jahre durch.“Heute ist er 30.
Er sitzt zusammen mit drei weiteren Pflegekräften aus der Region in einem Raum der Gewerkschaft Verdi in Augsburg. Bereit, aus dem Alltag als Pflegekraft zu berichten. Zusammen mit drei Kolleginnen. Aber er will nur anonym erzählen.
„Die Lage ist prekär“, betont Stefan Jagel, bei Verdi für den Gesundheitsbereich zuständig. Zwar habe man nach den jüngsten Streiks an einigen schwäbischen Kliniken begonnen, Verbesserungen zu erreichen und beispielsweise Mindestbesetzungsstandards zu verhandeln, doch ob das reicht, sei völlig offen. Entscheidend für die vier Pflegekräfte, die am Tisch sitzen, ist vor allem: „Wir brauchen eine Entlastung.“
Und Entlastung könne nur gelingen, da sind sich alle vier einig, wenn die Zahl der Pflegekräfte deutlich steigt. Im Schnitt versorgt nach Angaben von Verdi bundesweit, aber auch in der Region eine Pflegekraft 13 Patienten. „Wir sind hier Europas Schlusslicht“, sagt Jagel. Eine Pflegekraft könne höchstens sieben bis acht Patienten versorgen, erklären die Pflegekräfte. Sind es mehr Patienten, steige die Sterberate. Nicht ohne Grund sei längst von einer „gefährlichen Pflege“die Rede. Gefährlich für die Patienten.
Denn den Pflegekräften fehle Zeit. Das mache ihnen selbst zu schaffen. So erzählt der junge Mann aus der Chirurgie, dass es für ihn unerträglich ist, wenn er sich um Menschen, die von einer schweren Diagnose erfahren, nicht wenigstens ein wenig kümmern kann. „Wir als Pflegekräfte haben oft nicht einmal Zeit, mit diesen Patienten zu sprechen. Und die Ärzte haben noch weniger Zeit als wir.“Hinzu kommt: Die Patienten auf seiner Station werden immer älter und leiden immer häufiger an mehreren Krankheiten. Der Aufwand, sie medizinisch zu versorgen, wachse also. Doch gut 50 Prozent seiner Arbeitszeit benötige er für organisatorische und dokumentarische Aufgaben. Die Folge: Ständig müssten Prioritäten gesetzt und Arbeitsschritte eingespart werden, die eigentlich zur Gesundung des Patienten gehören. Doch dann würde eben der Verband nicht so häufig gewechselt, ein verschmutztes Bett nicht überzogen, die Hände nicht so lange wie vorgeschrieben desinfiziert werden.
Seine 56-jährige Kollegin, die in einem privaten Krankenhaus arbeitet, nickt. „So geht es mir auch.“Ständig begleite sie ein schlechtes Gewissen. „Dabei liebe ich diesen Beruf“, ruft sie spontan und breitet ihre Arme aus. „Ich kann mir wirklich nichts Schöneres vorstellen, als Menschen zu helfen.“Aber was sie täglich in ihrer Arbeit zu sehen und spüren bekommt, belastet sie: „Der Patient leidet. Die Pflegekraft leidet. Dieses System muss doch endlich durchbrochen werden. Es kann doch nicht sein, dass viele Pflegekräfte wie ein Hund arbeiten.“Ihrer Meinung nach sind auch die Ärzte in der Pflicht. „Sie könnten für eine Entlastung sorgen. Doch es wird wie am Fließband operiert.“Und Jagel weiß, warum: „Weil die Operationen das Geld bringen.“Gespart aber werde an der Pflege.
Zwei, die kein Problem haben, ihren Namen zu nennen, sind Helga Springer-Gloning, Gesamtpersonalratsvorsitzende der Kreiskliniken Günzburg-Krumbach, und ihre Kollegin Sonja Kuban von den Donau-Ries-Kliniken in Donauwörth, Nördlingen und Oettingen. Sie können nur bestätigen, was die Kollezu gen erzählen. Den Ursprung des Sparzwangs sehen sie in der Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2004. Seitdem wurden nach Berechnungen von Verdi in allen schwäbischen Krankenhäusern zwar die Ärztestellen um über 30 Prozent aufgestockt, die der Pflegekräfte aber nur um etwa zwölf Prozent – obwohl in diesem Zeitraum die Zahl der Patientenbehandlungen um circa 33 Prozent zugenommen habe. Es habe eine Ökonomisierung der Krankenhäuser stattgefunden, die zulasten der Pflegekräfte und der Patienten gehe. Kritik übt VerdiMann Jagel vor allem an den Gesundheitsmanagern in der mittleren Führungsebene. Sie verantworten oft auch den Pflegebereich. „Sie sehen nur die Zahlen, nicht aber die Menschen dahinter.“
In den Führungsetagen wisse man, dass Pflegekräfte ein extrem hohes Verantwortungsbewusstsein für ihre Arbeit mitbringen, sagt Kuban. Und dies werde ausgenutzt. Als besonders belastend würden es viele empfinden, dass kein Verlass auf Dienstpläne sei. „Ständig wird man zu Hause angerufen“, da für Ausfälle wie Urlaub oder Krankheit kein Ersatz vorgesehen sei. Daher würden auch so wenige streiken. „Man weiß doch, dass dann die anderen Kollegen noch mehr arbeiten müssen.“Und die moralische Verpflichtung für die Patienten ist groß. In ihrem Beruf gehe es schließlich nicht um Metallverarbeitung, sondern um Menschenleben.
Sie vermissen aber auch die Solidarität aus der Bevölkerung für ihre Nöte. Dabei könne doch jeder leicht krank werden, sagen sie. Und Jagel sagt mit Blick auf den Pflegenotstand: „Als Patient kann ich in keines der schwäbischen Krankenhäuser guten Gewissens gehen.“
Dann werden die Hände eben nicht so lange desinfiziert