Die EU ist tief gespalten
Es ist eine EU der zwei Gesichter; auf der einen Seite rückt die Gemeinschaft unter dem Druck des Brexits und nach dem Verlust des amerikanischen Beistandes immer enger zusammen. Dafür steht die stolz aus der Taufe gehobene Verteidigungsunion. Das Signal heißt: Europa ist eine wehrhafte Familie.
Doch hinter dieser nach außen gerichteten Kulisse bröckelt die Solidarität, die EU ist tief gespalten: Seit zwei Jahren ringen die Staaten, um gerade mal 120 000 Schutzsuchende aus griechischen und italienischen Lagern auf alle EU-Staaten zu verteilen. Die einzelnen Zahlen wären für kein Land eine wirkliche Herausforderung. Aber die vier Länder Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn mit national orientierten Führungseliten nutzen das Feindbild der EU geschickt, um sich selbst an der Spitze zu halten. Früher sei das Volk von Moskau bevormundet worden, nun von der EU. Das ist die verquere Logik dieser Regierungen. Daraus leiten sie das Recht zum zivilen Ungehorsam ab und treten die europäischen Werte mit Füßen.
Die Rechnung wird folgen, wenn die Nettozahlerländer beim nächsten EU-Finanzplan die Solidarität ihrerseits infrage stellen. behörde zumindest in Zeiten hoher Zahlen festhalten. Da die vier Widerständler dafür aber auf keinen Fall zu gewinnen sein würden, heckten die Berater der Staats- und Regierungschefs im Hintergrund einen Plan aus, der vertraglich möglich wäre: Für diesen Weg bräuchte man keine Einstimmigkeit beim Gipfel, eine qualifizierte Mehrheit würde reichen. Mit anderen Worten: Die meisten Chefs, die das für einen vernünftigen Weg halten, wären in der Lage, Warschau, Prag, Bratislava und Budapest zu überstimmen und so auf eine EU-Linie zu zwingen.
In einer anderen Frage zeigten sich die EU-Staaten jedoch einig. Sie gaben grünes Licht für eine Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen der UkraineKrise. Diplomaten zufolge sollen die Strafmaßnahmen weitere sechs Monate bis Ende Juli kommenden Jahres in Kraft bleiben. Die Sanktionen richten sich unter anderem gegen russische Staatsbanken und die wichtige russische Öl- und Gasindustrie. Sie sind seit 2014 in Kraft und laufen aktuell noch bis Ende Januar. Formal muss die Verlängerung um weitere sechs Monate nach dem Gipfel noch von den Mitgliedstaaten beschlossen werden.
Die EU-Chefs distanzierten sich auch von der Kehrtwende in der Jerusalem-Politik der USA. Die Haltung der EU zum Status der Stadt bleibe „unverändert“, hieß es laut Ratspräsident Tusk. ihren Sanktionen auf eine Stufe mit Nordkorea und dem Iran gestellt haben und gleichzeitig ausgerechnet auf Moskau als Vermittler in diesem Konflikt hoffen, sei „jenseits des gesunden Menschenverstandes“, fügt Putin vor 1600 Journalisten hinzu.
Der 65-Jährige gefällt sich in der Rolle des besonnenen Staatsmannes. Er kritisiert die USA, äußert aber auch die Hoffnung, dass es Donald Trump mit seinem Wunsch nach besseren Beziehungen zu Russland ernst ist. Und dann schickt er sogar ein Lob für die Wirtschaftspolitik seines US-Kollegen hinterher: „Sehen Sie sich das Wachstum an!“
Im März will Putin sich zum vierten Mal zum Präsidenten wählen lassen. Er wird nicht für eine bestimmte Partei antreten, sondern als unabhängiger Kandidat, als Garant der Stabilität. Echte Konkurrenz muss er nicht fürchten. Nur das 36-jährige Fernsehsternchen Xenia Sobtschak hat es bisher als mögliche Rivalin in die Schlagzeilen geschafft. Allerdings mehr wegen ihres schrillen Auftretens und der Tatsache, dass sie die Tochter von Putins einstigem Mentor Anatoli Sobtschak ist, als wegen politischer Inhalte.
Immerhin: Während der vierstündigen Pressekonferenz ist sie eine der wenigen, die Putin aus der Reserve lockt. Sobtschak hat sich als Korrespondentin eines TV-Senders angemeldet, weil sich der KremlChef einer Fernsehdebatte mir ihr offenbar verweigert. Es gelingt ihr zumindest, ihn in ein kurzes Wortgefecht zu verwickeln. Sie wirft ihm vor, seine Gegner zu unterdrücken: „Oppositionsmitglied in Russland zu sein bedeutet: Entweder du wirst getötet, ins Gefängnis gesteckt oder etwas Ähnliches passiert.“Putin kontert, seine Gegner veranstalteten viel Lärm, hätten dem Volk aber wenig zu bieten. Dafür könne er ja nichts. „Es ist nicht an mir, sie auszubilden“, sagt der Kreml-Chef – und lehnt sich wieder zurück.