Die Schach-WM gerät zum Desaster
In den kommenden Tagen wird die ukrainische Schachweltmeisterin Anna Muzychuk ihre beiden Titel verlieren, die sie vor einem Jahr gewonnen hat. Das liegt nicht daran, dass die 27-Jährige krank oder außer Form wäre. Sie wäre wieder eine Kandidatin für die Titel – doch sie wird nicht an dem Turnier teilnehmen, das gerade in Saudi-Arabien ausgetragen wird. Sie protestiert.
Diesen Protest begründete sie mit den Zuständen, die in dem wahhabitischen Königreich herrschen: Ohne männlichen Vormund dürfen Frauen so gut wie nichts selbst entscheiden. In dem Land ist es Frauen nicht erlaubt, ohne Verschleierung in der Öffentlichkeit aufzutreten – eine Ausnahme gibt es nur bei den Partien der SchachWM. Zu viel für Muzychuk. Sie schrieb: „Ich will nicht nach den Regeln von jemand anderem spielen, keine Abaya ( Anm.: islamisches
Überkleid) tragen oder nicht alleine nach draußen gehen dürfen oder mich generell wie eine Kreatur zweiter Klasse fühlen.“Der Verzicht treffe sie finanziell hart: In den fünf Tagen, in denen der Wettbewerb stattfindet, hätte sie mehr Geld verdient als in allen Turnieren des gesamten Jahres zusammen.
Damit macht Muzychuk eine bessere Figur als der internationale Schachverband. Der schickt sich gerade an, bei den Beliebtheitswerten ähnlich desaströse Zustände zu erreichen wie das Internationale Olympische Komitee oder der Fußball-Weltverband Fifa. Denn das Gastgeberland Saudi-Arabien schloss die Mannschaft aus Israel aus, benannte das Blitzschachturnier in König-Salman-Cup um – und der Weltverband schweigt. Der ehemalige Präsident der europäischen Schach-Union nannte das Turnier daraufhin „eine moralische Schande“.
Wenn Politik dem Sport die Regeln diktiert, wird es oft beschämend für alle Beteiligten. Neben den Verbänden machen dabei meistens die Sportler auch keine gute Figur und schweigen, anstatt Stellung zu beziehen. Wie es anders geht, hat Anna Muzychuk gezeigt. Ob es ihr jemand danken wird, ist jedoch eine andere Frage.