Wenn der Körper zur Last wird
Fettleibigkeit Dr. Harald Tigges baut ein Adipositaszentrum am Klinikum auf. Schweres Übergewicht stellt nicht nur ein gesundheitliches Problem dar. Oft kann das nur mit einer Magenverkleinerung gelöst werden
Landsberg „Iss halt weniger.“Das sagen nur wenige, denken jedoch viele Menschen, wenn sie einen Dicken sehen. Einen mit weit mehr als ein wenig Wohlstandsübergewicht, dem bisschen Speck auf den Hüften und der lästigen Bauchrolle. Einen, mit Oberschenkeln so dick wie aufgeblasene Ballons, mit einem Bauchumfang, so massig, als hätte er einen Gymnastikball verschluckt. Krankhaft dicke Menschen, die unter Adipositas leiden, werden immer mehr. Der Körper ist zur Belastung geworden: Schmerzen in den Gelenken, Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Atembeschwerden, Depressionen sind nur einige der Folgeerkrankungen. Dr. Harald Tigges, Chefarzt am Klinikum Landsberg, hilft jedes Jahr vielen Menschen, ihre Fettleibigkeit zu besiegen.
„So dick war Deutschland noch nie“, titelte jüngst die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Studien bescheinigen den Anstieg der krankhaften Fettleibigkeit deutsch- land- und weltweit. Über die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland sei übergewichtig, ein Viertel sogar adipös. Wieso, fragt man sich als Normalgewichtiger, essen die Betroffenen überhaupt so viel? Ist es eine Krankheit? Sind psychische Probleme die Ursache? Welche Rolle spielt
Viele Patienten stecken in einem Teufelskreis
der Lebensstil? Oder ist es ein genetischer Defekt?
Die Ursachen sind vielfältig. Dr. Harald Tigges ist Chefarzt am Klinikum Landsberg und gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der AdipositasChirurgie. Erst dieses Jahr wurde er als einer von Deutschlands Topmedizinern ausgezeichnet. Harald Tigges hatte zu Beginn seiner Karriere als Wissenschaftler vor mehr als 25 Jahren an der Uni Würzburg ähnliche Vorurteile gegenüber Adipösen wie der Rest der Bevölkerung – esst einfach weniger. Dann baute er als einer der ersten deutschen Ärzte ein Adipositas-Zentrum in Würzburg auf. Er erkannte das persönliche Leid und den Teufelskreis, in dem viele Adipositas-Patienten stecken. Nachdem er das Adipositaszentrum Bodensee in Konstanz etabliert hatte, wechselte der Viszeral-Chirurg vor sechs Jahren nach Landsberg. Dort baut er gerade das „Adipositas Zentrum Oberbayern“auf. Eine Selbsthilfegruppe, miteinander kooperierende Mediziner und Therapeuten, Psychologen und Ernährungsberater gehören zum Landsberger Netzwerk.
Nach umfangreichen Vorgesprächen und Untersuchungen sowie nach ermüdenden Verhandlungen mit den Krankenkassen führen Tigges und sein Team jährlich etwa 20 bis 30 Adipositas-Operationen durch. „Bei schwerem Übergewicht sind konservative Methoden leider nur in absoluten Ausnahmefällen wirksam“, sagt der Mediziner. Es ist ein Teufelskreis aus individueller genetischer Veranlagung, einem hinderlichen sozialen Umfeld, jahrzehntelangen schlechten Ernäh- rungsgewohnheiten, „psychischen Begleitproblematiken“, sozialer Isolation, Mobbing oder Jobverlust, die dazu führen, dass Fettverbrennung, Stoffwechsel sowie das Hunger- und Sättigungsgefühl nicht mehr normal funktionieren.
Schafft es ein Patient trotz Ernährungsumstellung, Diäten und Bewegungstherapie nicht, sein extremes Übergewicht zu verringern, kann der sogenannte Schlauchmagen eine Behandlungsmöglichkeit im Spek- trum der bariatrischen Eingriffe neben Magenbypass, Magenband, Magenballon oder Magenschrittmacher sein. Bei einer Schlauchmagenoperation wird der Großteil des Magens entfernt, die Menge der späteren Nahrungsaufnahme dadurch extrem limitiert, erklärt Tigges. Schnelle Sättigung und ein fehlendes Hungergefühl führen in der Folge
Nach der OP verlieren viele 100 Kilogramm und mehr
zu einem Gewichtsverlust von 60 bis sogar 80 Prozent.
Mit dieser Art von Operation hat Harald Tigges äußerst positive Erfahrungen gemacht. Eine Gewichtsreduktion von 230 Kilogramm auf unter 100 Kilogramm sei keine Seltenheit. „Wer mit eiserner Disziplin konservativ 40 Kilogramm abgenommen hat, rutscht in der nächsten Frustrationsphase schnell wieder hoch über das ursprüngliche Gewicht hinaus.“Und das sei bei Weitem kein rein ästhetisches Problem. Die Folgeerkrankungen von massivem Übergewicht verringern die Lebenserwartung von Adipösen um sieben bis zehn Jahre. Nach einer Operation könne in der Regel aufgrund des extrem verkleinerten Magens das niedrige Gewicht gehalten werden. Das LT hat mit zwei Patienten darüber gesprochen (Artikel unten), wie sich ihr Leben nach dem Eingriff verändert hat.
Über weitere spezielle medizinische Angebote am Landsberger Klinikum werden wir demnächst berichten.