Nato und USA müssen Erdogan stoppen
Es ist unverantwortlich, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan einen neuen Krieg auf dem Territorium Syriens beginnt. Kaum ist in dem geplagten Bürgerkriegsland der Kampf gegen die Terrormiliz IS zu einem erfolgreichen Ende gebracht worden, beginnt neues Blutvergießen.
Aber Erdogan ist nicht der einzige Schuldige. Der russische Präsident Wladimir Putin hat für ihn den Weg freigemacht, indem er russische Truppen aus dem fraglichen Gebiet zurückzog. Und die Amerikaner? Sie müssten Erdogan in den Arm fallen, denn die kurdischen Milizen, die der türkische Präsident jetzt angreift, bildeten den Kern der Bodentruppen, die den Kampf gegen den IS gewonnen haben.
Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan – der Mohr kann gehen: Verhält sich US-Präsident Donald Trump nach dieser Devise? Sieht so Dankbarkeit auf Amerikanisch aus? Wenn die USA ihre Verbündeten in muslimischen Ländern derart schlecht behandeln, dürfen sie sich nicht wundern, wenn sie bald keine mehr haben.
Das größte Problem in Syrien bleibt Diktator Baschar al-Assad, der jetzt seine Truppen gemeinsam mit russischen und iranischen Einheiten in die Provinz Idlib, die letzte in Rebellenhand, einmarschieren lässt. Aber dass Erdogan im Windschatten Assads einen Feldzug gegen die Kurden in Syrien beginnt, das dürfen ihm die Nato und die USA nicht durchgehen lassen. Syrien auch den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung der Kurden im eigenen Land befeuern. So war auch die Operation „Schutzschild Euphrat“im Jahr 2016 zwar offiziell gegen die Terrormiliz IS in Syrien gerichtet. Sie traf aber auch die Kurden und trieb einen Keil zwischen zwei von der YPG kontrollierte Gebiete an der Grenze.
Doch für den inneren Frieden der Türkei ist der Einsatz gegen die kurdischen Milizen in Syrien gefährlich. Es könnte zu Protesten der Kurden in der Türkei kommen. Die Co-Chefin der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Serpil Kemalbay, rief bereits zur Solidarität mit den Kurden in Afrin an. Doch der türkische Einmarsch geht über einen türkisch-syrischen Grenzstreit weit hinaus. Denn die YPG ist ein enger Verbündeter der USA und ein Schlüssel im Kampf gegen den IS. Die Offensive dürfte vor allem den USA überhaupt nicht gefallen.
In der Region um Afrin waren zudem russische Militärbeobachter und Truppen vor Ort. Vor dem türkischen Einsatz wurden sie zwar schnell verlegt, doch die Bodenoffensive löst auch in Moskau Besorgnis aus. Das Vorgehen könne den fragilen Friedensprozess für Syrien deutlich gefährden, sagte der russische Außenpolitiker und Duma-Abgeordnete Konstantin Kossatschow. Denn eigentlich wollte Russland in einer Woche weitere Verhandlungen beginnen – diesmal im Schwarzmeerort Sotschi. Doch das Vorgehen Ankaras könnte nun das angespannte Verhältnis zu Moskau weiter belasten. Denn Russland hofft auch auf eine Teilnahme der syrischen Kurden. Sogar eine Delegation der YPG sollte in Sotschi mit am Tisch sitzen – sehr zum Ärger der Türkei. Mirjam Schmitt, dpa