Einer, der immer mitgemischt hat
Geburtstag Heute wäre Bernhard Müller-Hahl 100 Jahre alt geworden. Er war 26 Jahre Landrat, aber auch Heimatforscher und Künstler. Ein Rückblick auf ein rastloses Leben
Landsberg „Er war jemand, mit dem hat man noch streiten können.“Diesen Satz hat Johann Müller-Hahl in seinem Leben öfter gehört – und zwar dann, wenn er auf seinen Vater angesprochen wurde. Sein Vater, das war Landrat Bernhard MüllerHahl. Mit seiner streitbaren Art hat er den Landkreis Landsberg in den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt. Am Karsamstag wäre der 26 Jahre amtierende Landkreischef 100 Jahre alt geworden.
Johann Müller-Hahl gehörte selber als junger Mann zu denen, die die Streitbarkeit seines Vaters erlebt haben. Der Vater wurde noch im Kaiserreich geboren, wuchs zwischen den Weltkriegen heran, kämpfte im Zweiten Weltkrieg, machte dann als CSU-Politiker Karriere, während Sohn Johann und dessen drei Geschwister in der Zeit der 68er-Revolte aufwuchsen.
Bernhard Müller-Hahl wurde am 31. März 1918 als erstes von zehn Kindern eines Landsberger Bäckers geboren, seine Mutter war Näherin. Aus der eigenen Bäckerei wurde es nichts, erzählt Johann Müller-Hahl. Die Inflation hatte den Erbteil der Mutter aufgefressen, und so blieb für den talentierten jungen Mann aufgrund der bescheidenen Vermögensverhältnisse seiner Eltern auch der Weg zum Studium verschlossen. „Damit hat er sein Leben lang gekämpft“, erzählt der Sohn.
Nach der Realschule wurde er Regierungsinspektorenanwärter im Weilheimer Landratsamt – und er änderte seinen Namen. Seinem Familiennamen Müller hing er „Hahl“an. Hahl habe die bessere Verwandtschaft geheißen, erinnert sich Johann Müller-Hahl: „Er hat wohl früh vorgehabt, dass er so etwas wie Landrat werden will.“Dann kam erst einmal der Krieg, in dessen Verlauf er zum Hauptmann aufstieg. Da war er schon mit einer früheren Mitschülerin aus der Realschule verheiratet. Nach 1945 studierte Müller-Hahl an einer Akademie in München ein paar Semester Kunst, zeichnete und malte viel. „Unsere Mama hat immer erzählt, dass es ihre schönste Zeit war“, blickt Sohn Johann zurück.
Ab 1948 war Müller-Hahl aber wieder in der Verwaltung aktiv – und in der Politik. Damals war es noch möglich, zugleich Gemeindereferent im Landratsamt und Kreisrat zu sein. 1958 gelangte MüllerHahl ans Ziel: Mit 40 Jahren wurde er zum Landrat gewählt. „Als Regierungsinspektor hatte mein Vater immer Regierungsräte über sich gehabt – und als Landrat hat er immer Krieg mit den Regierungsräten gehabt“, erinnert sich Sohn Johann.
Dass es als Mitarbeiter von Bernhard Müller-Hahl nicht allein darum ging, in Gesetzen und Verordnungen sattelfest zu sein und Bescheide schreiben zu können, stellte schnell auch Jürgen Felbinger fest. Der spätere Kreiskämmerer wurde Mitte der 1970er-Jahre persönlicher Referent von Müller-Hahl. Er erlebte einen Landrat, der sich nicht nur als Behördenchef verstand, sondern einen ausgeprägten politischen Gestaltungswillen hatte. Auf Ge- meindebesichtigungen sei mal schnell auf dem Lageplan eine Umgehungsstraße oder ein neues Baugebiet eingezeichnet worden. Wenn es nötig war, seien Entscheidungen spätnachts im Wirtshaus beim Schafkopfen getroffen worden.
Gerade vor der Gebietsreform habe ein Landrat noch großen Einfluss auf die Entwicklung der Gemeinden nehmen können, sagt dazu Müller-Hahls Nachfolger Erwin Filser: Die meisten Gemeinden zählten nur wenige hundert Einwohner, die Bürgermeister waren ehrenamtlich tätig und hatten keine Verwaltung: „Da sind die Bürgermeister am Freitagnachmittag mit dem Gemeindestempel in der Aktentasche oder im Rucksack ins Landratsamt gekommen und dann hat man die Formulare im Landratsamt ausgefüllt.“Ein Landrat habe eine ganz andere Machtposition gehabt als heute. Mit der Großen Kreisstadt war es nicht so einfach: Die beiden CSU-Politiker MüllerHahl und Hanns Hamberger galten als politische Rivalen.
Die Gebietsreform 1972/78 bildete einen Wendepunkt in der Ära Müller-Hahl. Zwar hatte der Landrat, der von 1966 bis 1970 auch im Landtag saß, den Landkreis erhalten können: Die bisherige kreisfreie Stadt Landsberg wurde Teil des Kreises, Dießen hielt er trotz des anderslautenden Bürgerwillens im Landkreis, das Fuchstal, Geltendorf und einige Gemeinden aus dem aufgelösten Kreis Schongau kamen hinzu. Aber: Die neu geschaffenen großen Gemeinden bekamen professionelle Verwaltungen und waren nicht mehr im gleichen Maße auf die Kompetenzen des Landratsamts angewiesen, blickt Filser zurück.
1977 hätte der damalige Vorsitzende der CSU-Kreistagsfraktion, Dr. Dietrich Gruber aus Utting, Müller-Hahl beinahe aus dem Amt gedrängt. Doch der „totale Willensmensch“, wie ihn Sohn Johann beschreibt, setzte sich noch einmal durch. Aber die letzte Wahlperiode erschöpfte ihn: Als Müller-Hahl 1984 aus dem Amt schied, sei er ausgebrannt gewesen. Mit fast 67 Jahren starb er am 17. März 1985.
Bernhard Müller-Hahl war nicht nur ein Vollblutpolitiker, sondern auch ein produktiver Künstler und Heimatforscher. Eine Zeit lang stand er der Landsberger Künstlergilde vor, schrieb in 30 Jahren elf Ortsgeschichten und gab 1962 das Kreisheimatbuch heraus. MüllerHahl habe den historischen Lechrain-Begriff ins Bewusstsein der Bevölkerung gebracht, würdigte ihn Landeshistoriker Pankraz Fried.
Müller-Hahl stattete seine Bücher auch mit unzähligen Zeichnungen aus. Diese habe er oft spätnachts gefertigt, erinnert sich sein Mitarbeiter Jürgen Felbinger. Wie er das alles geschafft hat, ist ihm heute noch ein Rätsel. Die Rastlosigkeit und die langen Nächte, glaubt Sohn Johann, waren für den Vater wohl auch eine Flucht – vor den Erlebnissen im Krieg. „Bis ins Alter hat er Albträume vom Krieg gehabt. Er ist immer wieder aufgewacht von den Erinnerungen an die Kämpfe als Gebirgsjäger, denn der Vater war immer einer, der mitgemischt hat.“
Im Krieg stieg Müller Hahl zum Hauptmann auf
Seine Zeichnungen fertigte er oft spätnachts