So ungerecht geht es bei der Grundsteuer zu
Urteil Immobilien in teuren Lagen zu günstig bewertet? Karlsruhe kassiert gängige Praxis
Karlsruhe/Augsburg Als hätte die neue Regierung nicht schon Probleme genug, zwingt das Bundesverfassungsgericht sie nun noch zu einer weiteren kniffligen Reform. Die Grundsteuer, die jeder Mieter über seine Nebenkostenabrechnung mitbezahlt, ist in ihrer gegenwärtigen Form verfassungswidrig. Unterm Strich soll die Neuregelung nach dem Willen von Union und SPD zwar nicht teurer werden, für besonders hochwertige Immobilien aber dürfte die Steuer nach einer Übergangsfrist steigen – im Gegenzug würde sie für Immobilien in schlechten Lagen sinken. „Grundstücke in Citylagen oder in bevorzugten Wohnlagen besitzen heute angesichts rasant steigender Immobilienpreise viel höhere Verkehrswerte als Grundstücke in Randlagen“, moniert auch der Vorsitzende des Ersten Senats in Karlsruhe, Ferdinand Kirchhof. Insgesamt gibt es in Deutschland mehr als 35 Millionen Grundstücke, für die Städte und Gemeinden Grundsteuer erheben.
Bisher wird sie in einem komplizierten Verfahren mithilfe der sogenannten Einheitswerte berechnet, die in den alten Bundesländern im Jahr 1964 festgelegt wurden und in den neuen Ländern 1935. Obwohl das entsprechende Gesetz verlangt, dass die Werte der Grundstücke alle sechs Jahre überprüft werden, haben die Finanzämter diese regelmäßigen Neubewertungen wegen des enormen Aufwandes nie vorgenommen. Da die Ungleichgewichte auf dem Immobilienmarkt seitdem ständig zugenommen hätten, argumentieren die Karlsruher Richter, verstoße die gängige Praxis spätestens seit dem Jahr 2002 gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.
Der Präsident der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, sprach sich gegenüber unserer Zeitung für ein völlig neues Verfahren zur Berechnung der Steuer aus. Die von Karlsruhe gewährte Übergangsfrist reiche für eine Neubewertung aller Grundstücke nicht aus, warnte er. „Bund und Länder müssen sich deshalb rasch verständigen, sonst fällt die bisherige Grundsteuer 2025 automatisch weg.“Den Personalbedarf der Finanzämter schätzt Eigenthaler auf etwa 3000 Beamte, die Kosten für die Neuregelung auf bis zu 150 Millionen Euro.
„Das Urteil an sich ist keine große Überraschung“, betonte auch der Präsident des bayerischen Städtetags, der Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl, gegenüber unserer Zeitung. Die kurze Zeit, die Karlsruhe dem Gesetzgeber lasse, sei jedoch „eine sehr sportliche Vorgabe“. In jedem Fall bleibe die Grundsteuer für die Kommunen eine wichtige Finanzierungssäule.
Das Urteil lässt dem Gesetzgeber einen „weiten Gestaltungsspielraum“. Er könne die beanstandete Regelung „reparieren“oder völlig neu gestalten. Allerdings müssen Bund und Länder die Neuregelung bis Ende 2019 beschlossen haben und diese bis Ende 2024 umsetzen.
Mit dem Urteil beschäftigt sich auch der Kommentar. Welche Modelle jetzt diskutiert werden, erfahren Sie in der Wirtschaft.
Berlin/Karlsruhe Was wird aus der Grundsteuer? Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Bemessungsgrundlagen der Steuer, die den Städten und Gemeinden zugutekommt, für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber aufgefordert, eine Neuregelung vorzunehmen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Warum haben die Verfassungshüter die Grundsteuer in ihrer bisherigen Form verworfen?
Das Problem sind die völlig veralteten Einheitswerte, die die Grundlage für die Berechnung der Steuer darstellen. Diese seien „völlig überholt“und führten zu „gravierenden Ungleichbehandlungen“der Immobilienbesitzer. Der Einheitswert aller 35 Millionen Grundstücke wurde erstmals im Jahr 1935 festgelegt und sollte danach alle sechs Jahre aktualisiert werden. Doch das geschah in Ostdeutschland als Folge des Zweiten Weltkriegs und der Teilung nie, in der alten Bundesrepublik nur ein einziges Mal im Jahr 1964. Somit sind die Einheitswerte völlig veraltet und haben mit dem tatsächlichen Wert eines Grundstücks oder einer Immobilie nichts mehr zu tun, die Grundsteuer spiegelt nicht mehr die Realität wider. Davon profitieren vor allem die Besitzer von Immobilien in attraktiven Lagen in den Boom-Städten, deren Häuser oder Wohnungen in den letzten Jahren massiv an Wert gewonnen haben. Nach Ansicht der Karlsruher Hüter der Verfassung ist das ein klarer Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes.
Was bedeutet das für die Besitzer von Immobilien sowie für Mieter?
Das ist im Augenblick noch offen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) erklärte, dass eine neue Form der Besteuerung sicherstellen müsse, dass es nicht zu Steuererhöhungen für Grundeigentümer und Mieter kommt. Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik eine Frist bis Ende 2019 gesetzt, um eine Reform der Grundsteuer zu erarbeiten, nach der Verabschiedung des Gesetzes soll eine Übergangsfrist zur Umsetzung bis Ende 2024 gelten. Allerdings machen die Verfassungshüter der Politik keine konkreten Vorga- ben, der Gesetzgeber habe einen „weiten Gestaltungsspielraum“. Die Kommunen pochen darauf, dass sie durch die Neuregelung kein Geld verlieren. „Gefordert ist jetzt eine schnell umzusetzende Lösung, die nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens mit relativ geringem Verwaltungsaufwand umzusetzen ist und sicherstellt, dass die wichtige Einnahmequelle der Kommunen dauerhaft erhalten bleibt“, sagt der Bundesvorsitzende der kommunalpolitischen Vereinigung von CDU und CSU, Christian Haase.
Was bedeutet das konkret?
Durch das enge Zeitfenster, das die Hüter der Verfassung vorgeben, dürfte der Reformvorschlag einiger Bundesländer unter Führung von Hessen und Niedersachsen, der bereits auf dem Tisch liegt und vom Bundesrat beschlossen wurde, keine Chance auf eine Umsetzung haben, da er viel zu kompliziert und aufwendig ist. Das Konzept sieht vor, dass die Grundsteuer künftig nach einem „Kostenwertmodell“ermittelt wird, eine Kombination aus dem Wert des Bodens und des Gebäudes, wobei sich der Gebäudewert an den Herstellungskosten orientieren soll. Das Problem: Die Finanzverwaltung müsste erst mühsam für alle 35 Millionen Grundstücke in Deutschland den aktuellen Wert ermitteln. Das dürfte, wie die Länder selber einräumen, mindestens zehn Jahre dauern. Der Vorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, warnt vor Mehrbelastungen für die Finanzbehörden. Die Reform der Grundsteuer dürfe nicht „auf dem Rücken der zuständigen Kolleginnen und Kollegen in den Finanzämtern“ausgetragen werden.
Was wäre die Alternative?
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, aber auch der Deutsche Mieterbund schlagen vor, die Grundsteuer durch eine reine Bodensteuer zu ersetzen, die sich alleine am Wert des Grundstücks bemisst. Das könnte Spekulationen mit Grundstücken einen Riegel vorschieben. In diesem Falle müssten allerdings die Besitzer von Einfamilienhäusern wegen der relativ höheren Grundstücksflächen deutlich mehr Steuern bezahlen als die Besitzer von Mehrfamilienhäusern. Alternativ gibt es den Vorschlag, sowohl die Grundstücks- als auch die Gebäudeflächen mit einem festen Pauschalbetrag zu besteuern. Der Vorteil: Die Steuer könnte mit geringem Aufwand berechnet werden. Der Nachteil: Den Kommunen drohen erhebliche Einnahmeausfälle.
Was passiert, wenn es bis Ende 2019 keine Neuregelung gibt?
Dann wird die Erhebung der Steuer komplett ausgesetzt. Das wäre gut für die Eigentümer wie für die Mieter, aber schlecht für die Kommunen, denen mit einem Schlag rund 14 Milliarden Euro fehlen.