Wie eine Turnerin am Schwebebalken
Kabarett Gery Seidl bewegt sich zwischen Schmäh, Satire, Blödsinn und Nachdenklichkeit
Landsberg Mit der nicht ganz einfachen Verpflichtung von Gery Seidl, den er im Radio hörte und begeistert war, hat Armin Federl, der Programmplaner der Landsberger Kleinkunstbühne s’Maximilianeum eine echt gute Tat vollbracht. Der österreichische Kabarettist, der mit seinem aktuellen Programm „Sonntagskinder“im Landsberger Stadttheater gastierte, ist hierzulande noch nicht ganz so bekannt. Allerdings hat der Waldviertler mit dem Wesen eines ordentlichen Gewittersturms seine Fans – einige Besucher beispielsweise outeten sich als Münchner, die speziell für Seidl aufs Land gereist waren – gepackt.
Das lohnte sich: Gery Seidl macht Programm ohne Punkt und Komma, zweieinhalb Stunden lang redet er, schwadroniert, räsoniert, denkt laut und wechselt sprunghaft von einem Thema ins nächste. Das ist ziemlich lustig und zum Schlapplachen – einerseits. Andererseits gibt es für die Ausgewogenheit, klug dazwischen gestreute Ernsthaftigkeiten, die das Publikum kurz still werden lassen. Gery Seidl hat als Grundlage für seine Programme sein eigenes Leben. Mit kabarettistischer Übertreibung redet er über Gendern und Chemtrails, über Urlaub und Haustier – und ja, es ist ein großer Spiegel, den uns der Protagonist vorhält. Gery Seidl bewegt sich dabei verbal ständig auf einem schmalen Grat hoch über österreichischem Schmäh und böser Politsatire, intelligentem Blödsinn und philosophischer Nachdenklichkeit, ohne nach der einen oder anderen Seite abzustürzen – so wie eine Turnerin ihren Körper geschickt über den Schwebebalken lenkt.
Er lässt sich in den Urlaub schleppen und fällt dort in ein düsteres Loch, das die Geburtskapelle vom Joda sein muss. Er stellt sich am Büfett an und wartet, bis vom Vordermann auch die letzte Platte mit Futter fotografiert und ins Internet gestellt ist. Gemeinsam mit Kurti, seinem besten Freund, sitzt er im Keller, weil die Wohnung mehr und mehr verfraulicht wurde. Unsägliche, gebetsmühlenhaft alle paar Minuten wiederholte Ansagen über den Spalt zwischen Bahnsteig und Zug oder die Helmpflicht sind für
Sind wir nicht alle Sonntagskinder?
Seidl Anzeichen wachsender Volksverdummung. „Wir brauchen keine Wutbürger. Wir brauchen Mutbürger, bewaffnet mit Hirn zwischen den Ohren.“Und was machen die Tattoo-Verzierten, wenn ihnen ihre Bemalung nicht mehr gefällt? Dafür gibt’s einen neuen Beruf: den „Bickerlradierer“. Letztendlich aber redet er uns ins Gewissen, nicht alles mitzumachen, sich Zeit zu schenken und sich nicht von dem „Es-is-nienix“in ein Korsett stecken zu lassen. Denn: „Sind wir nicht alle Sonntagskinder?“Und ja, Gery Seidl ist ein Muttertags-Sonntagskind – der griechisch-tibetanischsonstwie Immerwährende Kalender in dem Touristentempel/Joda-Geburtshaus hatte Unrecht.. .