Die Entlassung
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Ob Kufalt, am Morgen um fünf erwacht, sich den Reizen eines nackten Mädchenkörpers verweigert hätte, bleibt zweifelhaft. Denn er wacht erst um dreiviertel sechs auf, als die Glocke mit zwei scharfen Schlägen Signal zum Aufstehen und Waschen gibt. Er fährt hoch, in die Hosen, besonders gut wird das Bett gemacht, denn heute ist die große Zellenabschiedsrevision. Dann das Waschen im Emailleeßnapf statt in der blinkenden Nickelwaschschüssel, die nun zu putzen keine Zeit mehr ist.
Als die Kalfaktoren um sechs nach den Kübeln und Wasser laufen, die Zellenriegel zurückdonnern und die Schlösser knacken, ist Kufalt schon längst beim Reinigen des Zementfußbodens. Noch einmal muß das Muster drauf gewichst werden, alles ist von der Nacht verdorben. Dann baut er das Inventar nach einem heiligen System auf, damit der Hauptwachtmeister auf einen Blick überschaue: siehe! alles ist da.
Und bei all dieser Tätigkeit denkt er doch nur ununterbrochen an den Traum, den er gehabt hat in der Nacht. Der Traum aus den ersten Wochen seiner Untersuchungshaft ist wiedergekommen, jetzt in dieser Nacht.
Er läuft auf einen dunklen, tief verschneiten Wald zu. Er muß sehr rasch laufen, die Polente ist auf seiner Spur. Es ist Nacht, es ist bitterer Winter, der Wald vor ihm ist sehr groß, auf einer Karte hat er gesehen, achtzehn Kilometer läuft die Chaussee durch Wald. Aber er muß hinüber nach der anderen Seite, dort geht eine andere Bahnlinie, dort vermuten sie ihn nicht, dort kann er vielleicht noch entkommen.
Ehe er in die ungeheure Waldung eintaucht, die ihn für vier Nachtstunden umschließen wird, muß er durch ein Dorf. Und im Gasthof des Dorfes sind die Fenster noch hell. Er geht hinein und läßt sich einen Schnaps geben. Und noch einen. Und noch einen. Es scheint, er kann nicht mehr warm werden. Er kauft sich eine Flasche Kognak. Er verstaut sie in seine Aktentasche und zahlt.
Dabei merkt er, daß ihn zwei Männer aufmerksam betrachten, ein blasser, fuchsgesichtiger, junger, und ein alter, gedunsener mit nur noch ein paar Haaren auf der schorfigen Platte. Zwei Pennbrüder.
„Viel Schnee auf den Wegen“, krächzt der Alte.
„Ja“, antwortet Kufalt und sieht, wo das Wechselgeld auf seinen Hunderter bleibt. Er hat die Geldtasche dabei in der Hand, und der Blick des jungen Fuchses liegt auf ihr, haltlos gierig.
„Gibt noch mehr Schnee, Nachbar“, brummt der Alte. „Keine Nacht zum Spazierengehen.“
„Nein“, sagt er kurz und steckt die Brieftasche ein. Er sagt „guten Abend“gegen den Wirt und geht hinaus. Als er an dem Tisch der beiden vorbeikommt, steht der Junge auf und sagt bittend: „Geben Sie einen Schnaps aus für zwei Durchgefrorene. Wir wollen auch noch auf Quanz.“
Er geht rasch vorbei, als hätte er nichts gehört.
Draußen empfängt ihn der Wind mit einem scharfen prasselnden Trieb Schnee direkt ins Gesicht Er muß sich Schritt um Schritt gegen ihn ankämpfen, der Wald steht dunkel über dem Feld, ein paar hundert Meter ab.
,Ich hätte ihnen einen Grog geben lassen sollen‘, macht er sich Vorwürfe. ,Dann wären sie noch eine Viertelstunde sitzen geblieben und ich hätte Vorsprung gehabt. Die sind scharf auf mein Geld. Warum hat er gesagt, wir gehen auch auf Quanz? Woher weiß er, wohin ich will?‘
Er versucht, den Weg zurückzusehen, den er kam. Aber es ist nichts zu erkennen, der Schnee treibt jagend schräg vorbei.
,Im Wald wird es stiller sein. Aber der Schnee wird hoch liegen. Noch achtzehn Kilometer! Ich bin wahnsinnig, wie gut saß ich in Berlin! Sobald ich im Wald bin, nehme ich die Tausender aus der Brieftasche und verstecke sie an mir.