Völkerrecht plötzlich egal?
Zu „Lässt Deutschland seine Partner in Syrien im Stich?“(Seite 1) vom 17. April:
Überschrift und Inhalt dieses Artikels blenden einen Faktor aus: das Recht. Bei jedem Verbrechen gilt im Namen von Anstand und Rechtsstaatlichkeit, dass jemand erst dann der Täter ist, wenn dies in einem fairen und ordentlichen Verfahren von einer unabhängigen Instanz bewiesen wurde. In diesem Artikel wird zuletzt beiläufig erwähnt, der Giftgasanschlag von Duma sei noch nicht einmal untersucht. Wo bleibt also die Unschuldsvermutung?
Laut UN-Charta sind Militäreinsätze ausschließlich zur Selbstverteidigung oder auf Beschluss des UN-Sicherheitsrates erlaubt. Am Samstag haben die USA, Frankreich und Großbritannien ohne diese Grundlage hundert Raketen auf Syrien abgefeuert und sich damit ungeniert zum Ankläger, Richter und Vollstrecker in einem gemacht. Ist das Völkerrecht plötzlich egal? Die Frage, ob jemand seine Partner im Stich lasse, sich um die Verantwortung herumdrücke und es sich bequem mache, setzt voraus, dass das Handeln der Partner rechtens ist. Offenbar gilt dieser Anspruch aber nur dann, wenn es darum geht, Syrien, Iran oder Russland anzuklagen und im Gestus moralischer Überlegenheit Sanktionen zu verhängen oder militärisch zuzuschlagen. Diese moralische Überlegenheit erweist sich hier zum wiederholten Male als pure Heuchelei.
Michael Widmann, Augsburg