Lebenslügen, wohin man schaut
Stadttheater Eines langen Tages Reise in die Nacht
Landsberg Der Rausch als Alternative, als das Symbol des Scheiterns an der Realität? Oder die Sucht als Ausdruck von Hoffnung? Lebenslügen, wohin man schaut. Verdrängung soweit das Auge blickt. Eugene O‘Neill hat sein Stück „Eines langen Tages Reise in die Nacht“1956 geschrieben und dabei von ganz persönlichen Erfahrungen gezehrt. Die Künstlerfamilie Tyrone mit ihren zwei Söhnen droht in der Mittelmäßigkeit des Alltags Schiffbruch zu erleiden. Unterzugehen, hilflos zu ertrinken. Das Nicht-wahrhaben-– Wollen scheint der einzig akzeptable Rettungsanker. Doch diese Form der seelischen Vernachlässigung bedeutet nur mehr Überleben auf Zeit, bis zur endgültigen Katastrophe.
Roberto Ciulli hat dieses 1957 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Stück für das Theater an der Ruhr inszeniert. Am Mittwoch gastierte das Ensemble im Landsberger Stadttheater und präsentierte dem Publikum einen nicht leicht verdaulichen Abend. Es ist dieser unverhohlene, schonungslose Blick hinter die schablonenhaft wirkenden Figuren der Tyrones. Eine Familie, die sich in Zeiten der aufkommenden Psychoanalyse, das Stück spielt um 1910, selbsttäuschend am Leben hält. Da ist der Vater James, dessen Ruhm als Schauspieler verblasst ist, der seine einstigen Ideale verloren hat und als ein vom Geiz zerfressener Grundstücksspekulant den Alltag bestreitet. Klaus Herzog spielt diesen trinkenden, ausgebrannten Zyniker als eine Art Clown, der sich mit hochgezogenen Hosen hämisch spottend über die Bühne bewegt. Seine morphiumsüchtige Ehefrau Mary, von Simone Thoma als eine tagträumende, manchmal engelsgleiche, auf jeden Fall der Realität abgewandte Figur angelegt, hat jeden empathischen Bezug zur Gegenwart verloren.
Nach einer Entwöhnung kreisen ihre Gedanken einzig um ihre Droge, ohne die sie den Alltag nicht übersteht. James, der ältere Sohn der Tyrones, ist ebenso wie der Vater nur durchschnittlicher Schauspieler und harter Trinker. Fabio Menendez zeigt ihn als einen ständig provozierenden, dabei bitter enttäuschten Realisten, dessen epileptische Anfälle ihm jede Selbstständigkeit rauben.
Und Edmund, der jüngste Spross der Familie? Er ist von der Tuberkulose gezeichnet, um nicht zu sagen zerfressen, doch der Einzige im Quartett, der sich einen letzten Hauch an Hoffnung erhalten hat, die aber in den ständigen sarkastischen Monologen der einzelnen Familienmitglieder untergeht. So trinkt auch er, um sie zu ertragen, die Hölle des Alltags. Albert Bork spielt diesen verletzlich wirkenden, von starken Gefühlen gepeinigten jungen Mann, mit einer leicht dandyhaften Note.
„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ist ein Drama über Suchtkranke, es handelt von Menschen, die einst als Glückssucher aufgebrochen sind und nun in der Hölle ihrer Beziehungen hoffnungslos feststecken. Erbarmungslos pathetisch füllen ihre nichtssagenden Monologe den Raum. Hier ist jeder mit sich selbst beschäftigt, hat über die Abhängigkeit zu sich selbst den Kontakt zu seinem Nebenmann verloren. Gemeinsames ist abhandengekommen.
Kein leicht verdaulicher Abend