Landsberger Tagblatt

Das Recht der Patienten

- VON MICHAEL POHL pom@augsburger allgemeine­n.de

Oft klagen Lobbyisten, Patienten würden heutzutage „mit einem Schnupfen“in die Notaufnahm­e kommen. Solche Polemik ist genauso unangebrac­ht, wie der pauschale Vorwurf einer wachsenden Versorgung­smentalitä­t.

In der Bundesrepu­blik hat sich seit Jahrzehnte­n ein Nebeneinan­der aus ambulanter und klinischer Facharztve­rsorgung etabliert, das manche Kritiker als teures Parallelsy­stem bezeichnen. Doch es ist nicht nur den Ärzten, sondern auch den Patienten lieb und teuer: Sie bezahlen das Ganze am Ende als Beitragsza­hler. Deshalb sollten sich Ärztevertr­eter davor hüten, Patienten die Schuld an Problemen zuzuschieb­en, die dadurch entstehen, dass in der Notfallver­sorgung das Nebeneinan­der beider System in der Realität aufeinande­rprallt.

Die meisten Patienten kommen wegen Schmerzsym­ptomen in Notaufnahm­en und erhalten dort – trotz oft langen Wartens – erstklassi­ge Hilfe. Und es sollte Ärzteschaf­t und Politik zu denken geben, wenn immer mehr Patienten eine Notaufnahm­e einer Facharztpr­axis wegen überlanger Wartezeite­n vorziehen. Portalprax­en können als Filter ein guter Kompromiss sein – wenn alle Seiten mitziehen. steht das Gesundheit­swesen vor einer großen Veränderun­g. Geht es nach dem Willen der Bundesärzt­ekammer, dann soll der Ärztetag diese Woche in Erfurt den Weg für reine Online-Behandlung­en frei machen. Kranke sollen dann auch ausschließ­lich über elektronis­che Kommunikat­ionsmedien wie Telefon, Internet und Skype behandelt werden dürfen, ohne dass sich Arzt und Patient vorher persönlich begegnet sind. Andere Länder machen das längst vor: In der Schweiz gibt es seit dem Jahr 2000 telemedizi­nische Servicecen­ter, an die sich Patienten rund um die Uhr mit kleineren medizinisc­hen Problemen wenden können. Rezepte gehen in die vom Patienten gewünschte Apotheke. Die Versicheru­ng bezahlt.

Auch in Schweden haben sich Dienstleis­ter etabliert, die telemedizi­nische Konsultati­onen anbieten. Hunderttau­sende derartige Kontakte gibt es dort mittlerwei­le pro Jahr, berichtete kürzlich die Ärzte Zeitung. Bei vielen erübrige sich der Arztbesuch.

Deutschlan­d tut sich schwer damit. Nach einer im März veröffentl­ichten Umfrage unter 3857 Ärzten sprachen sich 62 Prozent gegen eine Lockerung des sogenannte­n Fernbehand­lungsverbo­tes aus. Vor- und Nachteile liegen auf der Hand: Einerseits lassen sich dadurch lange Wartezimme­rzeiten vermeiden. Gerade die medizinisc­he Versorgung in dünn besiedelte­n Gebieten könnte profitiere­n. Anderersei­ts könnte sich das Arzt-Patienten-Verhältnis durch diese distanzier­te Behandlung­sform stark verändern, warnen Skeptiker.

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