Auf der Suche nach der eigenen Seele
Buch Ein Traumatherapeut beschäftigt sich mit der Geschichte des Heilens. Die Kauferingerin Alexandra Cavelius ist Coautorin
Kaufering Seit Jahren beschäftigt sich die Kauferinger Schriftstellerin Alexandra Cavelius mit dem Schicksal von Frauen in totalitären Regimes und in der Gewalt von Kriegsverbrechern. 2001 gelang ihr mit „Leila, ein bosnisches Mädchen“ein Bestseller: Die Geschichte einer 15-Jährigen, die im Balkankrieg in ein Vergewaltigungslager verschleppt wird. 15 Jahre später ein anderer Krieg, aber eine ähnliche Thematik: In „Ich bleibe eine Tochter des Lichts“interviewt Cavelius eine junge Jesidin, die von Kämpfern des Islamischen Staats verschleppt und zur Zwangsprostitution gezwungen wird. Cavelius arbeitet in diesem 2016 erschienenen Buch mit dem Traumatologen Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan zusammen. 2016 erscheint als Gemeinschaftsarbeit eine Auseinandersetzung mit den seelischen Abgründen der Täter: „Die Psychologie des IS, die Logik der Massenmörder“.
In der aktuellen Veröffentlichung „Nachtfahrt der Seele“steht der Psychotherapeut selbst im Mittelpunkt der Geschichte, Cavelius fungiert als Coautorin: Geboren als jesidischer Kurde in der Türkei folgte Kizilhan als Kind seinen Eltern, die als Gastarbeiter gekommen waren, nach Deutschland. Er studiert Psychologie und spezialisiert sich in der Traumatherapie. Von Zweifeln geplagt, ob es ihm gelingt, seinen Patienten zu helfen, folgt der Mediziner 2011 einer Einladung persischer Heilkundiger in den Iran. Eine Reise, bei der sich der 51-jährige Wissenschaftler mit den eigenen Dämonen auseinandersetzt und sich alten Weisheiten gegenüber öffnet.
Die anfängliche Skepsis beim Lesen, die Thematik könnte zu sehr ins Esoterische abdriften, ist bald überwunden. Kizilhan bezeichnet sich selbst als „durch und durch rationalen Menschen“und bleibt weiter auch ein Mensch, der der Welt analytisch begreifend gegenübersteht.
Er öffnet sich aber auch der Erkenntnis, dass sich ein Mensch, der heilen will, auch mit den eigen Schuldgefühlen und Defiziten auseinandersetzen muss. Und dass über das persönliche Schicksal hinaus, auch die von Generation zu Generation weitergegebene Leidensgeschichte der eigenen Kultur und Ethnie mitgedacht und miterzählt werden muss. Und es wird auf die Rituale fokussiert, mit denen die verschiedenen Kulturen mit Leid und Schmerz umgehen.
In Einschüben wird der Leser immer wieder mit dem grausamen Schicksal derer konfrontiert, die als Patienten zu Kizilhan kommen, der Schwerpunkt liegt jedoch auf einer philosophischen Diskussion um Gut und Böse, beziehungsweise welche Rolle der Dualismus von Gut und Böse in unserem Denken spielt, ein Dualismus, der durch den Religionsgründer Zarathustra installiert wurde, so die Erzählung, in der sich der Protagonist immer wieder in Gesprächen über Religion, Seele und Identität wiederfindet – und Religionen gibt es viele im Nahen Osten, vom Islam, Christentum und Judentum bis hin zu den vorislamischen Glaubensrichtungen wie Zarathustra-Anhängern und Jesiden oder Glaubensgründungen jüngeren Datums wie den Bahai.
Von all diesen erfährt der Leser etwas und vor allem über die Sozialisation des Kosmopoliten Kizilhan, der obwohl nicht religiös, vor allem als junger Mann ein Leben in jesidischer Tradition führte. Obwohl die dringlichen Einladungen der Heiler, die Kizilhan nach Isfahan locken wollen, anfangs die Spannung eines Abenteuerromans aufbauen, bleibt es ein nachdenkliches Buch mit philosophischen Fragestellungen.
Über alte Weisheiten und sachliche Analysen
Veröffentlichung „Nachtfahrt der Seele“, Jan Ilhan Kizilhan mit Alexan dra Cavelius, Europaverlag, 22 Euro, ISDN 978 3 95890 162 9
Arte beschäftigt sich in einem Themen abend am Dienstag, 19. Juni, mit dem IS: Die Jesidin Shirin wird ab 21.45 Uhr in „Sklavinnen des IS“zu Wort kommen und Dr. Kizilhan in der Gesprächsrunde um 22.45 Uhr.