Die Erfinderin der Umwelt
Mit elf Jahren Verspätung kam das Werk in Deutschland an. Als 1963 die deutsche Übersetzung ihres Jahrhundertbuches auf den Markt kam, hatte Rachel Carson in ihrer amerikanischen Heimat längst eine heftige politische Debatte ausgelöst. „Der stumme Frühling“hieß das Buch auf Deutsch. Als „Silent Spring“wurde es zum Startschuss einer Umweltpolitik, die heute – mit unterschiedlichem Elan – zum politischen Stan- dard gehört. Die 1964 verstorbene Autorin gilt als eine Erfinderin der Umweltbewegung.
Es geschieht nicht alle Tage, dass eine Journalistin und Sachbuchautorin ein derartiges gesellschaftliches Umdenken bewirkt. In Amerika wird sie darum mit Harriet Beecher Stowe verglichen, deren Roman „Onkel Toms Hütte“ein Auslöser der Antisklaverei-Bewegung wurde. Rachel Carson, die Literatur und Biologie studiert hat, machte sich nach und nach als Wissenschaftsjournalistin einen Namen. Anfangs hatte sie es mit dem Meer und seinen Bewohnern, einem Thema, das ihr erste internationale Bucherfolge bescherte. Dann kam „der stumme Frühling“und mit ihm ein Kampf gegen einige der mächtigsten amerikanischen Interessengruppen: gegen die Landwirtschaft und die für sie zuständigen Ministerien und gegen die Giganten der ChemieIndustrie.
Im „stummen Frühling“schilderte Carson auf sachliche, kenntnisreiche, aber auch volkstümliche Weise die Gefahren des Pestizids DDT für Natur und Mensch, das damals in aller Welt zur Insektenbekämpfung in der Landwirtschaft eingesetzt wurde. Damit attackierte sie ein Produkt, das der Schweizer Paul Hermann Müller als segensreich populär gemacht hatte. Er erhielt dafür sogar den Nobelpreis für Medizin. Ihre Gegner beschrieben eine Welt ohne DDT als „einen Rückfall ins Mittelalter mit all seinen Seuchen“. Dass Rachel Carson eine unverheiratete Frau war, hielt ihr die Männergesellschaft der Naturwissenschaften, der Politik und der Chefetagen oft auf üble Weise entgegen: „Wieso macht sich eine alte Jungfer solche Sorgen über unseren Nachwuchs?“Aber sie hat eine Lawine losgetreten, die sich zur globalen Umweltbewegung ausweitete, zuerst in den USA, dann in Europa und darüber hinaus. Das DDT wurde in den 70er Jahren weitgehend verboten. Die Debatte um den Einsatz von Chemie in der Landwirtschaft aber geht heftig weiter.