Das Verhalten der Fans war unanständig
Sich mit dem Autokraten Recep Tayyip Erdogan fotografieren zu lassen, war dumm, falsch und von obszöner Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftlichen Standards. Mesut Özil und Ilkay Gündogan dürften das nun wissen. Gündogan bekam am Freitag die volle Wucht deutscher Wut zu spüren. Einer Wut, die verständlich ist. Die den Weg aber durch ein ungünstiges Ventil fand. So hätte man Plakate gestalten können, statt dem Massenreflex zu folgen und die Finger in den Mund zu stecken. Denn welche Botschaft sollten die Pfiffe transportieren: Etwa: Du bist hier nicht willkommen? Oder: Wir sind Deutsche und du nicht? Sie lassen Spielraum für Spekulationen. Und so verständlich es ist, seinem Furor Luft zu machen und bei Gündogans Einwechslung zu pfeifen: Alles, was danach kam, war unanständig.
Die Nationalmannschaft verabschiedete sich in Leverkusen von ihren Fans in Richtung Weltmeisterschaft. Im Stadion waren auffallend viele Kinder. Ihre Vorbilder sind Manuel Neuer, Marco Reus und Toni Kroos. Vielmehr aber noch Papa und Mama. Was bitte wird den Kindern im Stadion vorgelebt? Dass Menschen psychisch fertiggemacht werden dürfen, wenn sie nur genug Geld verdienen? Dass das mit der Vergebung zwar ganz nett gemeint ist, aber eigentlich dann halt doch Unfug ist? Die Fans, die permanent pfiffen, haben sich über den Menschen Gündogan erhoben. Sie liegen möglicherweise dieses Jahr wieder an den Stränden Antalyas, zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge für ihre Putzfrau, tricksen bei der Steuererklärung. Sie sind diejenigen, die den Vegetarier fragen, warum er denn kein Veganer ist – während sie für 1,99 Euro ein Pfund Hackfleisch kaufen. Natürlich darf Kritik nicht nur üben, wer ohne Fehler ist. Aber das Mittel der Wahl sollte zumindest angedacht werden.
Doch nicht nur die Fans gaben ein schlechtes Bild ab. Der DFB wollte das Thema totschweigen, nachdem man sich kurz damit beschäftigt hatte. So funktioniert Öffentlichkeitsarbeit nicht. Genauso wenig wie die von Mesut Özil, der sich jedem Interview verweigert. Der nutzt Öffentlichkeit und Fans gerne für seine Zwecke, hat sich zu einer Marke entwickelt und profitiert auch finanziell davon. Er hätte von Anfang an offen mit der „Erdogan-Affäre“umgehen müssen. Hätte offenlegen sollen, was er mit dem Treffen beabsichtigt hatte. Fans wollen ehrlich behandelt werden. Ansonsten reagieren sie sauer. Und unverhältnismäßig.