Der heiße Atem der Formel 1
Test Sehr schnell und sehr teuer: Mit dem 720S bringt McLaren Rennsport auf die Straße
Die großen Zeiten von McLaren in der Formel 1 sind lange vorbei. 1998 und 1999 heißt der Champion Mika Häkkinen, 2008 holt Lewis Hamilton den letzten Weltmeistertitel für den Rennstall, der zu seinen Hochzeiten mit Mercedes verbandelt war. Dann verliert McLaren, nach Ferrari das erfolgreichste Team der Formel-1-Geschichte, den Anschluss. Selbst Top-Fahrer Fernando Alonso kann bislang nicht helfen.
Im „normalen“Automobilgeschäft dagegen scheinen die Briten jetzt erst so richtig ins Rollen zu kommen. 2010 begann McLaren mit dem Bau eigener Sportwagen für die Straße. Inzwischen verlassen jährlich 4000 Fahrzeuge die Manufaktur in Woking im Westen der Grafschaft Surrey. Die Modellpalette teilt sich auf in drei Serien – Sports, Super und Ultimate. Die Preise beginnen (!) bei rund 160000 Euro und gehen bis in die Millionen – sofern die oft limitierten, von Sammlern häufig blind vorbestellten Wagen überhaupt in den freien Verkauf kommen. Ihren Besitzern, denen es ohnehin an nichts fehlt, sind sie gute, sehr gute Geldanlagen.
Fahren könnte man die Geräte freilich auch, stellen doch die englischen Sportwagen mit das Performanteste dar, was derzeit weltweit zu haben ist. Das aktuell beste – und jüngste – Stück: der McLaren 720S, das Topmodell der Super Series. Sein Vierliter-Biturbo-V8 leistet, wie der Name schon sagt, 720 PS. Die Beschleunigungswerte sind atemberaubend: In 2,9 Sekunden auf 100, in 7,8 auf 200, in 21,4 Sekunden auf 300 km/h. Lenkung und Fahrwerk: phänomenal.
Wem die Spucke da noch nicht weggeblieben ist, der verkraftet sogar den Preis: Mindestens 259210 Euro kostet dieses Projektil. Andererseits machen es die Lamborghinis und Ferraris kaum billiger – und gemessen an den nackten Fahrdaten bestimmt nicht besser.
Wenn auch die großen Erfolge Geschichte sind, so steckt doch viel Formel-1-Spirit in den aktuellen McLarens: immer ein Turbomotor, immer Heckantrieb, und vor allem: immer ein superleichtes, supersteifes Carbon-Chassis. Das verschafft den McLarens grundsätzlich einen Gewichtsvorteil, den die Mitbewerber selbst mit noch so viel Leistung kaum aufholen können.
1283 Kilogramm bringt der 720S trocken auf die Waage, fast 100 Kilogramm weniger als ein Ferrari 488 GTB. Unnachahmlich zieht der McLaren davon, geht neutral und unfassbar flink durch jede Kurve. Dafür mag die Italo-Fraktion noch mehr Emotionen versprühen als die unterkühlten britischen Rennmaschinen. England oder Italien also? Diese Sorgen möchte man haben.
Tobias Schaumann