Hitzige Gefühle im kalten Krieg
Zwischen Lebenslust und Verzweiflung
Die ebenso ausgelassene wie verbissene Judith in Kirsten Breitenfellners Roman „Bevor die Welt unterging“ist ein Kind der 1970iger Jahre. Sie wächst in behüteten Verhältnissen auf, in einer relativ friedlichen Welt. Trotzdem wird Judith das Gefühl nicht los, dass die Welt bald untergehen könnte: Atomares Wettrüsten, Waldsterben, Aids. Ihr fehlt der Glaube an den Sinn des Lebens und sie suhlt sich in dem Gefühl, sensibler zu sein als ihre Eltern. Dabei ist sie ständig hin- und hergerissen zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, zwischen der Lust am Leben und der Verzweiflung über das Leben.
Liegt es wirklich an der Umwelt, an der atomaren Bedrohung, die sich schließlich 1986 handfest beim GAU von Tschernobyl manifestiert? Oder ist Judith einfach eine typische Heranwachsende, die sich ins Leben tastet? Da wird viel zitiert – von Kafka bis Genesis, da gibt’s einen Liebesreigen wie bei Schnitzler und eine Reise in die befremdliche Welt der deutschen demokratischen Republik. All das soll das Lebensgefühl der 1970er und 80er Jahre einfangen – und wirkt doch nur wie Beiwerk. Zu schablonenhaft bleiben die Akteure, zu plakativ wirkt die Hauptfigur Judith, auch wenn sie ständig zwischen den Extremen schwankt, was die Erzählerin nicht müde wird zu betonen. Auch der Perspektivwechsel zwischen allwissender Erzählerin und Judiths eingeschränkter Wahrnehmung ist für die Leser eine Herausforderung.
„Wenn sie später, viel später in ihrem Tagebuch von dieser Zeit lesen sollte, sollte sie erschrecken über die künstliche Aufgeblasenheit ihrer Wörter und ihrer Gefühle“, lässt die Erzählerin einmal wissen. Das gilt auch für die Leser, die irgendwann das Gefühl überkommt, über all den Metaphern und Vergleichen das Interesse fürs Ganze zu verlieren.
Lilo Solcher
Kirsten Breiten fellner. Bevor die Welt unterging,
Pi cus, 230 Seiten, 22 Euro – ab 16