Der lange Schatten über der Leichtathletik
Vor kurzem ist in Berlin eine Leichtathletik-EM zu Ende gegangen, die derart mitgerissen hat, dass der Zuschauer verführt war, alles, was er dort gesehen hat, für echt und aufrichtig zu halten. Sich der Vorstellung hinzugeben, die olympische Kernsportart in ihrer wahren Pracht zu erleben, ist ja auch zu verführerisch. Nur, darauf kann man seine alten Ehrenurkunden verwetten, bot auch Berlin nur den schönen Schein, wurde gedopt, gelogen und betrogen. Spätestens, wenn alte Proben aufgetaut und neue Analyseverfahren entwickelt sind, werden die jüngsten Medaillengewinner ihr Edelmetall wieder abtreten müssen. Vielleicht hält die Fassade auch länger. So lange, bis der erfolgreiche Pillenschlucker die Folgen seiner Dauermedikation nicht mehr verbergen kann und reinen Tisch machen möchte.
Wie Christian Schenk, dessen späte Beichte für den langen Schatten steht, in dem sich die Leichtathletik noch immer bewegt. Mag sein, dass der Zehnkämpfer Schenk aus einer anderen Zeit und einem anderen System stammt. 1975 hat die DDR Staatsdoping beschlossen. Es galt, den Westen wenigstens im Sport abzuhängen. Dafür hat das System rücksichtslos die Gesundheit seiner Athleten aufs Spiel gesetzt. 1988 war Schenk Olympiasieger. Der Westen hielt mit Ben Johnson und Stanozolol dagegen. Johnson flog auf, lief wieder und betrog wieder. Schenk rettete sich in ewige Lügen – bis es nicht mehr ging.
Wenn seine Geschichte etwas Gutes hat, dann die Warnung an alle, die im Sinne einer sportlichen Gerechtigkeit für die Freigabe von Dopingmitteln plädieren. Schenk wurde nach seiner Karriere schwer depressiv. Dafür gibt es viele Gründe. Ein naheliegender ist der jahrelange Gebrauch anaboler Steroide. Einer Studie zufolge sind Dopingopfer 2,7-mal so häufig krank wie Durchschnittsbürger, leiden häufiger an Depressionen und haben eine zehn bis 15 Jahre kürzere Lebenserwartung.
Wie hoch der Preis ist, den einige Sieger von Berlin bezahlen, werden sie erst später im Leben erfahren. Bezahlen werden sie auf unterschiedliche Weise alle.