Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (133)
EWilli Kufalt ist das, was man einen Knastbruder nennt. Er kommt aus dem Schlamassel, aus seinen Verhältnissen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomisch. ©Projekt Guttenberg
r wandte sich zum Gehen. „Lasse ich die Sache also sausen.“Er stand unter der Tür. „Es gibt bessere Tips, das kannst du mir glauben.“
„Schön“, sagte Kufalt, „aber das schwöre ich dir, ich stehe jeden Abend am Laden, und wenn du das Ding drehst, haue ich dich in die Pfanne.“
Batzke drehte sich rasch um. Er sah Kufalt erbittert an und ging rasch mit erhobener Faust auf ihn zu.
„Ja, schlag nur“, schrie der wütend, „schlag mich zusammen. Deswegen kannst du das Ding doch nicht drehen. Oder du mußt mich gleich ganz totschlagen.“
„Also, Willi“, sagte Batzke plötzlich, „wir machen das Ding zusammen. Du gehst heute nachmittag los und besorgst dir erst einmal einen hartgebrannten Ziegelstein. Und dann kannst du noch einen Pflasterstein beschaffen. Überleg dir schon, wie du die Dinger am besten unauffällig verpackst, daß du sie doch immer griffbereit hast. Heute abend
um elf treffen wir uns an der Hochbahnhaltestelle Lattenkamp. Da in der Gegend müssen nette neue Siedlungen sein. Da kannst du tüchtig üben.“Es war nicht so, daß Kufalt von diesem Auftrag entzückt war. Ihm hatte es vorgeschwebt, daß er der Mann sein würde, der durch das Loch ins Schaufenster langte und das Tablett mit den Ringen ergreifen würde. Aber er war müde jetzt, abgekämpft von seinem Streit mit Batzke, froh, daß er wenigstens dies erreicht hatte.
,Hat mich reinlegen wollen‘, dachte er. ,Hat kein Schwein gehabt. Fünftausend Mark. Lächerlich! Zehntausend müssen mindestens allein auf meinen Anteil fallen. Wo kriegt man nur Pflastersteine her? Man kann doch nicht so einfach Pflastersteine von der Straße mitnehmen! Und hartgebrannte Ziegelsteine – gibt es denn auch weiche? Wie soll ich die Dinger denn unterbringen? Das wird doch eine Last …‘
„Also denn um elf auf Wiederse- hen, Kufalt“, sagte Batzke, der ihn die ganze Zeit prüfend angesehen hatte, und grinste über sein ganzes Gesicht.
In der Baumaterialienhandlung Tiedemann sitzt Herr Priebatsch vor dem großen Verkaufsjournal und macht eifrig Buchungen. Von Zeit zu Zeit hebt er den Blick und sieht auf den großen Stapelplatz hinaus, wo Zehntausende von Mauersteinen, Tausende von Dachziegeln, Hunderte von Kubikmetern Bausand, endlose Stapel von Bauholz, Schuppen voller Zement auf Käufer warten.
Er stellt fest, daß die Gespanne von Maurermeister Gadebusch noch immer aufladen, daß der Kutscher von Zimmermann Lange gleich am Fenster des Verkaufsbüros halten wird, sieht dann gewohnheitsmäßig in den Hintergrund seines Büros und sagt ebenso gewohnheitsmäßig zum Lehrling: „Sie sollen Rechnungen ausschreiben und nicht träumen, Herr Preisach.“
Die Tür zum Verkaufsbüro tut sich auf, aber es ist noch nicht der Kutscher von Lange, sondern ein junger, gut angezogener, etwas blasser Mann, der eintritt, ein Handköfferchen in der Hand.
„Entschuldigen Sie“, sagt der junge Mann etwas verwirrt.
„Bitte, bitte“, sagt Herr Priebatsch. „Was steht zu Diensten?“
„Ich wollte fragen“, sagt der junge Mann, „ob Sie hartgebrannte Mauersteine haben.“
„Aber gewiß doch“, sagt Herr Priebatsch. „Sehen Sie doch nur zum Fenster hinaus. Das Tausend vierundfünfzig Mark.“
„Und haben Sie auch Pflastersteine?“fragt der junge Mann. „Basalt? Granit? Gegossene? Schlackensteine? Viereckig? Rund?“fragt Herr Priebatsch dagegen.
„Ja, ich weiß nicht genau“, sagt der junge Mann zögernd. „Vielleicht Basalt, viereckig, oder nein, doch besser rund.“
„Wieviel sollten es denn sein? Wir müßten da erst die Preise einholen“, erklärt Priebatsch.
„Ach, vorläufig nicht so viel“, sagt der junge Mann verwirrt und sieht Herrn Priebatsch an. „Also, wieviel?“fragt der. „Ja“, sagt der junge Mann zögernd und sieht Herrn Priebatsch verwirrt höflich an.
„Die Mauersteine können sofort geliefert werden“, hilft der Prokurist. „Wegen der Pflastersteine brauchen wir mindestens eine Woche Lieferfrist.“
„Ich müßte aber einen sofort haben“, sagt der junge Mann.
Herr Priebatsch traut seinen Ohren nicht. „Einen?“fragt er gedehnt, und er wiederholt noch einmal ungläubig: „Einen?“
Es ist so still im Büro, daß sogar der Lehrling Preisach aus seinen Träumereien erwacht und den Kunden ansieht.
Der faßt sich.
„Als Muster“, sagt er hastig. Und plötzlich sehr beredt: „Wissen Sie, das ist nämlich so, mein Vater will sich ein Haus bauen, und da möchte er erst Muster von den Steinen haben.“
„Von den Mauersteinen?“fragt Herr Priebatsch sehr gedehnt.
„Auch von den Pflastersteinen“, sagt der junge Mann.
Herr Priebatsch hat plötzlich eine Idee, und infolge dieser Idee wird er zuerst sehr rot.
„Herr“, fängt er ganz sachte an. „Wir wollen nämlich auch einen Hof pflastern“, sagt der junge Mann eilig.
„Herr“, schreit Herr Priebatsch, „wenn Sie mich hier auf meinem eigenen Büro durch den Kakao ziehen wollen…“
„Aber ich versichere Ihnen: Muster“, sagt der junge Mann hilflos.
Herr Priebatsch fängt an zu schreien.
„Machen Sie, daß Sie aus meinem Büro kommen! Entweder sind Sie ein Idiot, oder …“
Der junge Mann ist schon aus dem Büro entflohen.
Kurz vor sieben sprang Kufalt noch einmal von seinem Sofa auf, auf dem er in einer Mischung von Verdrossenheit und bänglicher Erwartung gelegen hatte, sah in den Bibliotheksschrank, goß sich den Rest des Kognaks in ein Wasserglas, trank ihn herunter und lief zum nächsten Delikatessengeschäft. Mit einer neuen Flasche Kognak in der Manteltasche kam er zurück.
Er wußte, er trank zuviel in diesen letzten Tagen. Aber das war wie eine Krankheit, wie eine Schwäche. Als er eben nach seiner Steinbesorgung auf dem Sofa gelegen hatte, war das Gefühl stark in ihm geworden, von all dem loszukommen, wieder ein sauberes, ordentliches Leben zu führen. Wie gut war das Tippen von Adressen in Friedensheim gewesen, saubere Arbeit, zu der man frisch gewaschen am Morgen ging. Und jetzt?
Es war geradezu lächerlich. Er sollte in vier Stunden losgehen, um probeweise Scheiben einzuschlagen, probeweise! Alles war sinnlos. Man mußte doch irgendwie herauskommen aus dem. Es wäre denn doch noch tausendmal schlauer, sich allein auf den Jungfernstieg zu begeben und nicht probeweise, sondern endgültig Mut zu haben.