Der Samenernter
Der Landwirt aus Winkl ist in der Hurlacher Heide mit einem seltsamen, selbst gebauten Gerät unterwegs. Er ist ein Natur- und Landschaftspfleger der ersten Stunde. Das LT hat ihn besucht
Ein Landwirt aus Winkl erntet Samen auf der Hurlacher Heide. So können Pfeifengras, Ochsenauge und Kreuzenzian auch andernorts gedeihen.
Hurlach Gerhard Süßmair schreitet hinter einem leise surrenden Gerät her, das an einen Radanhänger erinnert. Eine rotierende Bürste raschelt über die langen Gräser und Kräuter auf der Hurlacher Heide. Ein Elektromotor treibt den „eBeetle“an, ein Gerät, mit dem sich schonend Samen im stehenden Bestand ernten lassen. Wertvolle Arten auf Naturschutzflächen können so anderswo wieder angesiedelt werden.
Süßmair ist Fachwirt für Naturschutz und Landschaftspflege und hat in Winkl eine Landwirtschaft mit 18 Hektar Acker und Grünland. Der 57-Jährige arbeitet schon lange mit dem amtlichen Naturschutz zusammen, er gehörte mit seinem Kompagnon Rudolf Sirch zu den ersten staatlich geprüften Naturund Landschaftspflegern, die 1992 ihren Abschluss machten. Die beiden setzen neben der Landwirtschaft auf das zweite Standbein Landschaftspflege, und wurden 2017 mit dem Deutschen Landschaftspflegepreis ausgezeichnet. „1995 haben wir zum ersten Mal Mähgut übertragen“, erinnert sich Süßmair an die Zusammenarbeit mit Werner Steinbach von der Unteren Naturschutzbehörde.
Denn es geht darum, seltene Pflanzen, die es auf Flächen wie der Hurlacher Heide gibt, auf anderen Flächen anzusiedeln. Und zwar Flächen, die von ihrem Boden, Nährstoffgehalt und Kleinklima ähnlich sind, aber keine so wertvolle Fauna aufweisen. Früher nahm man dafür einfach gemähtes Material und verteilte es an dem neuen Standort. Dabei ging immer etwas verloren und auch der Zeitraum war eng gesteckt. Wenn jetzt die Samen alleine geerntet werden, können diese länger aufbewahrt werden – „bis zu drei Jahre“wie Süßmair erzählt.
Den eBeetle gibt es erst seit 2014. Süßmairs Sohn Christoph stieß während der eigenen Ausbildung zum Fachwirt für Naturschutz und Landschaftspflege auf diese Entwicklung in der Schweiz. Eine rotierende Bürste streift die Samen von den Pflanzen ab und per Luftstrom werden sie in den Auffangkorb geblasen. Wie der Name schon verrät, wird der eBeetle elektronisch ange- trieben und kostet seinen Preis: 20 000 Euro. „Es soll jetzt auch schon einen Selbstfahrer geben“, erzählt Gerhard Süßmair, dass er sich die neueste Entwicklung bald ansehen will.
Abgebürstet werden nicht nur Samen, sondern allerlei Getier. Das kommt dabei aber nicht zu Schaden, wie sich zeigt: Munter hüpfen Heuschrecken davon, als Gerhard Süßmair seine Ernte auf ein Tuch ausbreitet, Ameisen und Käfer sausen davon und mehrere Spinnen suchen das Weite. „Manchmal sind es noch viel mehr Tiere“, sagt Gerhard Süßmair. Er greift in den Haufen aus Pflanzenteilen und Tierchen und zeigt, auf was es ankommt: Unzählige Samen, deren Identität Süßmair nicht immer sagen kann: „Diesmal war es sehr viel Pfeifengras“, sagt er und zeigt auf schmale Grassamen. „Und das ist Berghaarstrang“, zeigt Gerhard Däubler auf einen linsenartigen Samen eines Doldenblütlers. Er ist gemeinsam mit Rainer Fuß Süßmairs Ansprechpartner bei der Unteren Naturschutzbehörde. Die Fläche in der Hurlacher Heide, die Gerhard Süßmair bearbeitet, gehört der Gemeinde Kaufering, die amtlichen Naturschützer sind jedoch fachlich zuständig für die Samenernte. Maximal 50 Prozent, so schätzt Süßmair, werden übrigens befahren, denn natürlich soll auch die bestehende Fläche noch genügend eigenes Samenmaterial behalten.
Das autochthone Saatgut, also aus heimischen Pflanzen gewonnene Saatgut, wird auf gemeindlichen Ausgleichflächen ausgebracht, um dort eine Verbesserung in Sachen Pflanzenzusammensetzung zu erreichen. An Privatleute gibt die Untere Naturschutzbehörde kein Saatgut ab, es sei denn, es handelt sich um ein Unternehmen, welches wegen eines Bauprojekts selbst Ausgleichsflächen schaffen muss. Es müsse sich aber um den gleichen Lebensraum
Die Samen passen auf magere Trockenstandorte
handeln, erläutert Fuß. Sprich, die in der Hurlacher Heide gewonnenen Samen passen auf magere, das heißt nährstoffarme Trockenstandorte im Lechtal, wie Fuß erläutert. Flächen können auch vermagert werden, indem man „20 bis 30 Zentimeter Oberboden wegschiebt“, wie Däubler sagt. Am Gleisdreieck in Kaufering werde ein entsprechender Versuch gerade gemacht, so Fuß.
Däubler betont, dass man in der Verbreitung nicht nur auf diese mageren Trockenrasen festgelegt sei. Denn längst gibt es auch die extensive, also wenig gedüngte, Bauernwiese mit Glockenblumen und Zittergras nicht mehr. „Die intensive Landwirtschaft braucht hochwertiges Futter“, erläutert Gerhard Süßmair. Also gilt es auch Glockenblume, Kuckucksnelke & Co. zu unterstützen. Doch in der Hurlacher Heide sind es weit seltenere Arten, die über den Samentransfer anderswo wieder zum Erblühen gebracht werden sollen: Klebriger Lein, Ochsenauge, Berghaarstrang, Flockenblume, Skabiose und Kreuzenzian sind einige der Arten, die Däubler auflistet.