Anonyme Abrechnungen sind ein Holzweg
Geahnt hat man es schon lange: Der Mann ist narzisstisch gestört und dem Amt weder moralisch noch intellektuell gewachsen. Dass diese Beobachtung nun durch einen anonymen Brandbrief und ein Enthüllungsbuch bestätigt wird, birgt gleichwohl eine höchst beunruhigende Dramatik.
Offenbar agiert Donald Trump hinter den verschlossenen Türen des Weißen Hauses inzwischen so befremdlich, dass selbst seine engsten Berater nicht mehr stillhalten. Der mächtigste Mann der Welt, so ihr Fazit, hat sich selbst und seine Regierung nicht unter Kontrolle.
Ein alarmierender Zustand. Gemessen daran fällt der Coup des Regierungsvertreters, der sich nun in der New York Times anonym zum Widerstandskämpfer stilisiert, reichlich feige aus. Offenbar arbeitet er wie andere Beamte und selbst Minister tatsächlich durch leisen Ungehorsam daran, die schlimmsten Auswüchse der Präsidentschaft abzumildern. Doch wie die Republikaner, die zu einer opportunistischen Ja-Sager-Truppe verkommen sind, bleibt er unsichtbar und ermöglicht damit Trump das politische Überleben. Erschreckend viele Konservative glauben immer noch, der wirre Wüterich könne ihnen bei der Umsetzung ihrer Ziele letztlich behilflich sein. Solange aber weder Senatoren noch Minister den Mut haben, sich Trump mit offenem Visier in den Weg zu stellen, wird sich nichts bessern. hinzu: die Jagd auf vermeintliche Verräter und Informanten. Der Vorgang werde Trumps Paranoia und seine Wut über Illoyalitäten noch weiter anstacheln, sind Beobachter überzeugt. Schon vor einiger Zeit soll er während einer Rede im Roosevelt Room plötzlich innegehalten, hinter sich geschaut und die Gesichter der Mitarbeiter gemustert haben. „Alles, was gerade passiert, wird durchgestochen“, sagte er anschließend: „Ich kenne diese Leute nicht.“Intern schäumt der Präsident über die „Schlangen“in seinem Umfeld. Nach Recherchen der New York Times hat er den Kreis der Verdächtigen auf ein halbes Dutzend eingeschränkt.