Dürfen sich Richter lieben?
Justiz Am Augsburger Landgericht arbeitet ein Paar in derselben Strafkammer. Zwei Anwälte halten das für rechtswidrig. Sie stellen einen Befangenheitsantrag. Der Fall schlägt hohe Wellen
Augsburg Eine sehr rüde formulierte englische Lebensweisheit besagt, dass man nie eine Affäre mit Kollegen anfangen sollte, weil das nur Ärger gibt. In Privatunternehmen geht es meist um die Unruhe im Betrieb, das Gerede der Kollegen und die Frage, ob es einem der beiden Liierten karrieretechnisch etwas bringt. Bei der Justiz kann eine Beziehung unter Kollegen noch ganz andere Folgen haben, wie ein pikanter Fall am Landgericht Augsburg zeigt.
Dort musste der Vorsitzende Richter der 10. Strafkammer am Montag zunächst öffentlich eine Beziehung mit seiner Beisitzerin einräumen und dann auch noch einen Befangenheitsantrag hinnehmen. Der Prozess könnte nun sogar deswegen platzen. Der Fall schlägt wegen der ungewöhnlichen und seltenen Konstellation in Justizkreisen hohe Wellen. Letztlich geht es um die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Paar gemeinsam in einer Kammer arbeiten kann oder ob dies die richterliche Unabhängigkeit und die professionelle Distanz behindert.
Der Fall selbst ist nachrangig: Ein Schrotthändler aus dem Ries soll als Kopf einer Bande rund eine Million Euro Steuern hinterzogen haben. Doch darum geht es zum Prozessauftakt nicht mal ansatzweise. Stattdessen beginnt das Verfahren am Montagvormittag mit einem Pau- Die Verteidiger Adam Ahmed und Sven Gaudernack haben dem Gericht vorab vier Fragen geschickt, teilt das Gericht mit. Sie zielen darauf ab, ob zwischen dem Vorsitzenden und der Beisitzerin ein besonders enges Verhältnis bestehe. Dies sei den Anwälten von mehreren Augsburger Juristen zugetragen worden. Die Fragen beantworten die betroffenen Berufsrichter mit „Ja“, der Vorsitzende fügt hinzu: „Wir sind seit geraumer Zeit unter einer Wohnadresse gemeldet, und es handelt sich nicht um eine Wohngemeinschaft.“ Im Übrigen sei dies allgemein bekannt.
Mit dieser offenen Antwort ist die erste Frage geklärt: Die beiden Richter führen also eine Beziehung. Bleibt die Frage, ob das ein Problem ist. Ab da wird es juristisch, und Gericht und Verteidiger sind völlig unterschiedlicher Ansicht. Der Vorsitzende Richter sagt: „Ich sehe nicht das Risiko, dass dem Angeklagten irgendwelche Rechte abgeschnitten werden.“Die Verteidiger antworten mit einem Befangenheitsantrag gegen das Paar. Die Besetzung des Gerichts sei vorschriftswidrig. Die Tatsache, dass zwei Berufsrichter derselben Kammer ein Paar sind, hätte nach Ansicht der Anwälte Ahmed und Gaudernack zwingend vorher bekannt gemacht werden müssen. Die Verteidiger argumentieren, dass deren erforderliche „innere Unabhängigkeit“nicht mehr gegeben sei. Sie stützen sich auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Jena aus dem Jahr 2016. Das hatte gerügt, dass ein Ehepaar gemeinsam in einer Kammer arbeitete und festgestellt, dass dies den Prozessbeteiligten zuvor mitgeteilt hätte werden müssen.
Nun gehören Befangenheitsanträge zum Standardrepertoire des Strafverteidigers. Regelmäßig werden sie gern eingesetzt, um Unruhe ins Verfahren zu bringen. Und genau so regelmäßig werden sie abgelehnt, weil sie entweder an den Haaren herbeigezogen sind oder die Richterschaft zusammenhält.
In diesem Fall ist der Sachverhalt komplexer. Man muss wissen, dass es nicht darauf ankommt, dass ein Richter tatsächlich befangen ist. Es genügt, wenn aus der Perspektive des Betroffenen ein Grund vorliegt, „der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen“(Besorgnis der Befangenheit). So steht es im Paragrafen 22 der Strafprozessordnung.
Dort ist auch geregelt, wann ein Richter kraft Gesetzes von der Ausübung seines Amtes ausgeschlossen ist, so zum Beispiel, wenn er selbst Opfer der Straftat oder der Ehegatte des Opfers ist oder wenn er mit dem Angeklagten in direkter Linie verkenschlag: wandt ist. Zu der Konstellation, dass ein Paar Mitglied derselben Gerichtskammer ist, gibt es keine gesetzliche Regelung, nur diverse Urteile, die sich mit ähnlichen Fällen beschäftigt haben. Das macht den Augsburger Fall so vertrackt. Nicht ausgeschlossen, dass sich noch höhere Gerichte mit der Causa beschäftigen müssen.
Bleibt die Frage, die auch die Verteidiger stellen: Wusste das Gerichts-präsidium, das für die Besetzung der einzelnen Kammern zuständig ist, von der Beziehung? Landgerichtspräsident Herbert Veh sagt: „Dem Präsidium ist dieser Umstand bekannt.“Die Beisitzerin sei seit 1. Juni 2018 in der 10. Strafkammer tätig. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass das Landgerichtspräsidium keine Probleme sah, das Paar in eine Kammer zu setzen.
Rechtsanwalt Ahmed hat kein Verständnis: „Das geht nicht“, sagt er. Das Landgericht Dortmund habe zum Beispiel in seiner Geschäftsverteilung eine solche Konstellation explizit ausgeschlossen. Hinter vorgehaltener Hand wird auch in Augsburger Justizkreisen die Kammerbesetzung mit einem Richter-paar als „nicht ideal“bezeichnet.
Den Befangenheitsantrag werden nun andere Richter der 10. Strafkammer bewerten müssen. Ihre Entscheidung soll am Freitag verkündet werden. Dann wird sich zeigen, wie es weitergeht.
Das Gerichtspräsidium weiß von der Beziehung