Das Horror-Haus von Istanbul
Die Türkei setzt alle Hebel in Bewegung, um das Schicksal des saudischen Kritikers Dschemal Kaschoggi zu klären: Welche Indizien für einen eiskalt geplanten Mord im saudi-arabischen Konsulat sprechen und wie die Ermittler arbeiten
Hohe Polizeigitter versperren die Akazienstraße vor der zweistöckigen Villa im Istanbuler Geschäftsviertel Levent. Hinter einer Mauer mit Stacheldraht und mit der grünen Landesflagge auf dem Dach im bleigrauen Herbsthimmel wirkt das Konsulat von Saudi-Arabien wie eine Festung. Die schwere Metalltür mit gekreuzten Schwertern darauf ist verschlossen. Mehrere Autos mit diplomatischen Kennzeichen stehen davor, auch ein schwarzer Kleinbus ist darunter. Ein solches Fahrzeug spielt eine Rolle in der grausigen Geschichte, die sich hier, im Istanbuler „Horror-Haus“, abgespielt haben soll. Diese Geschichte könnte über das Schicksal der saudischen Reformpolitik entscheiden.
Die Vorhänge im gelb gestrichenen Konsulatsgebäude sind zugezogen, doch offiziell ist die Vertretung geöffnet und vergibt weiter Termine für Visa. Nur mit der Ruhe in der Akazienstraße ist es vorbei. „Seit ein paar Tagen ist hier große Aufregung“, sagt Esra, die Kassiererin eines Supermarkts gegenüber der Vertretung. Kamerateams lagern vor dem Konsulat. Die türkische Polizei hat das Gelände ebenfalls im Visier. Am 2. Oktober kurz nach Mittag soll in der Villa in der Akazienstraße der regimekritische saudische Journalist Dschemal Kaschoggi ermordet worden sein. Auf- nahmen türkischer Überwachungskameras haben den Moment eingefangen, in dem Kaschoggi durch die Metalltür mit den Schwertern ins Konsulat geht – seitdem fehlt von ihm jede Spur.
Die türkische Polizei ist sicher, dass Kaschoggi von einem Killerkommando aus Saudi-Arabien getötet worden ist – was die saudische Regierung bestreitet. Fest steht, dass ein 15 Mann starkes Team aus Riad am Tag von Kaschoggis Verschwinden in Istanbul eintraf und das Land am selben Abend wieder verließ. Unter den Männern waren laut türkischen Presseberichten zwei Leibwächter des saudischen Thronfolgers Mohammed bin Salman sowie ein führender Gerichtsmediziner aus Saudi-Arabien: Möglicherweise sei Kaschoggis Leiche mit einer eigens aus Riad mitgebrachten Knochensäge zerteilt und im diplomatischen Gepäck nach Saudi-Arabien gebracht worden, spekulieren die Zeitungen.
Tröpfchenweise dringen die Ermittlungsergebnisse der türkischen Polizei seit Tagen an die Öffentlichkeit. Bilder des angeblichen Killerteams gehören ebenso dazu wie die Fahrtrouten der Männer in Istanbul. Sie waren unter anderem mit dem schwarzen Kleinbus unterwegs. Selbst das Abwasser aus dem Konsulat werde auf Blutspuren hin untersucht. Brutal wie im Thriller „Pulp Fiction“sei es beim Mord an Kaschoggi zugegangen, lässt sich ein Ermittler in einem Zeitungsbericht anonym zitieren.
Ein Grund dafür, dass der Reportertross vor dem Konsulat ausharrt, ist die Erwartung, dass das Gebäude in der Akazienstraße bald von türkischen Spezialisten durchsucht werden könnte. Schon vergangene Woche hatte Kronprinz Mohammed dieses Angebot angekündigt, um zu beweisen, dass seine Regierung nichts mit Kaschoggis Verschwinden zu tun hat. Doch bisher lässt die saudische Erlaubnis für die Durchsuchung auf sich warten.
Kaschoggis Apple-Armbanduhr, die er beim Besuch im Konsulat trug, könnte wichtige Hinweise geben. Ermittler wollen laut Medienberichten herausfinden, wie lange und von welchem genauen Ort die Uhr ihre Signale an Kaschoggis Handy gefunkt hat, das er seiner vor der Tür wartenden türkischen Verlobten Hatice Cengiz gegeben hatte. Die Uhr kann auch die Herzfrequenz des Nutzers aufzeichnen.
Während die Spezialisten der Polizei und Geheimdienste ermitteln, verschärft die türkische Staatsspitze langsam ihren Ton. Sein Land werde der Angelegenheit nicht schweigend zuschauen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan. Obwohl Riad behaupte, Kaschoggi habe das Konsulat wohlbehalten verlassen, habe keine der vielen Überwachungskameras am Konsulat ihn gefilmt, kritisierte der Präsident: „Selbst eine Mücke“komme nicht ungesehen aus dem Gebäude, sagte Erdogan.
Für die Türkei geht es bei der Aufklärung des mutmaßlichen Verbrechens auch um das eigene Ansehen. Kaschoggi soll von der saudischen Botschaft in Washington nach Istanbul geschickt worden sein, um Dokumente für seine geplante Hochzeit mit Cengiz abzuholen: Die Saudis hätten es nicht gewagt, Kaschoggi in den USA zu töten, in der Türkei aber offenbar kein Problem damit gehabt, lautet der türkische Verdacht.
Erdogans Regierung will nicht nur den Druck auf die Saudis erhöhen, sondern auch erreichen, dass westliche Staaten, und vor allem die USA, eindeutig Stellung gegen Riad beziehen. Inzwischen haben Präsident Donald Trump und führende Kongresspolitiker unter dem Druck der Enthüllungen die Saudis dringend um Aufklärung gebeten.
Damit wird das Istanbuler „Horror-Haus“zu einem ernsten Problem für Kronprinz Mohammed bin Salman, der Saudi-Arabien mit einem ehrgeizigen Umbauprogramm in die Moderne führen will. Mit der Verhaftung von Frauenrechtlerinnen hatte der Prinz in den vergangenen Monaten bereits demonstriert, dass er kein Reformer im westlichen Sinne ist. Der Fall Kaschoggi lässt den Thronfolger nun erst recht als orientalischen Despoten erscheinen. Was sich zunächst nach einem schlechten Scherz anhörte, lässt immer mehr Lehrer und Politiker hellhörig werden: Die AfD sorgt mit Online-Portalen, auf denen Schüler politische Äußerungen von Lehrern melden sollen, für Empörung. „Organisierte Denunziation ist ein Mittel von Diktaturen“, sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) der
„Wer so etwas als Partei einsetzt, um missliebige Lehrer zu enttarnen und an den Pranger zu stellen, gibt viel über sein eigenes Demokratieverständnis preis.“
Wie bereits in Hamburg geschehen, will die AfD in mehreren Bundesländern Meldeplattformen gegen Lehrkräfte einrichten, die angeblich gegen das Neutralitätsgebot verstoßen und sich kritisch über die Partei äußern: in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, RheinlandPfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
An Schulen gilt generell ein Neutralitätsgebot. Demnach sollen Lehrer Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen. Themen, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, müssen so auch im Unterricht dargestellt werden. Schüler sollen die Fähigkeit erlangen, politische Situationen zu analysieren.
An bayerischen Schulen sei das ein grundlegendes Bildungs- und