Wie wir durch die Stadt der Zukunft fahren
Hintergrund Die Luft ist sauber, Straßen und Plätze sind lebenswert. So muss sich Mobilität ändern, um dies zu erreichen
München Kinder müssen sich nicht mehr zwischen Autos durchquetschen. Es gibt breite Gehsteige und mehr Raum für Straßencafés, für Grün- und Wasserflächen. Wohnen und Arbeiten rücken zusammen, wo früher Autos parkten, entstehen Flächen für Begegnung, Erholung und Kommunikation. Das alles geschieht treibhausgasneutral und emissionsfrei. So könnte sie aussehen, die Stadt der Zukunft. Eine Vision hat nicht nur das Umweltbundesamt skizziert, auch Professor Florian Matthes von der TU München teilt diese Vorstellung. Er beschäftigt sich mit der Mobilität von morgen. Und er fordert, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch Kommunalpolitiker den Mut haben müssen, dafür Entscheidungen zu treffen, wie er diese Woche auf einer Veranstaltung der Beratungsfirma Gartner in München erklärte.
Denn die Gegenwart sieht anders aus: Die Diesel-Affäre zeigt die Probleme unserer heutigen Fortbewegung. Durch hohe Stickoxid-Emissionen drohen in Großstädten Fahrverbote. In Augsburg rechnet man damit nicht, aber auch hier werden Grenzwerte überschritten. Dazu kommt, dass gerade in Süddeutschland die Städte Einwohner gewinnen – und der Verkehr steigt und steigt. Wie viel Stau erträgt ein Bürger? „Der Kollaps in München ist absehbar“, warnt Matthes. „Die Stadt wird weiter wachsen wie verrückt, es ist aber nur endlich viel Fläche da“, sagt der Leiter einer Forschungsgruppe zur Mobilität von morgen – des Living Lab Connected Mobility.
Um den Kollaps zu verhindern, müssen die Städte die Weichen neu stellen: Kommunen sollten durchgängige Radwege bauen, Firmen überdachte Rad-Stellplätze bereitstellen, sagt Alina Steindl, Projektleiterin für Mobilität und Verkehr am Fraunhofer-Institut in Prien am Chiemsee. Auch Fußgänger müssten mehr Raum bekommen. „Fußgänger sind die blinden Flecken der Verkehrspolitik“, kritisiert Umweltbundesamtschefin Maria Krautzberger. „Dabei ist Gehen die natürlichste Form der Mobilität.“Ein Fünftel aller Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, sei kürzer als zwei Kilometer. Dies könnte man problemlos zu Fuß schaffen. Das Umweltbundesamt hat diesen Oktober Grundzüge einer „Fußgängerstrategie“vorgelegt.
Beispiel der Stadt von morgen ist die HafenCity in Hamburg: Sie ist mit dem Auto erreichbar, Fuß- und Fahrradwege haben die Verkehrsplaner aber bevorzugt. Die Wege sind engmaschig, Fußgänger haben zweieinhalb Mal mehr Kilometer Wegstrecke zur Verfügung als Autofahrer. Nur: Eine Stadt umzubauen, braucht Zeit.
Hilfreich auf dem Weg in die Stadt der Zukunft könnten deshalb die Megatrends sein, die derzeit die Autobranche in Atem halten. Einer davon ist neben dem Elektroauto das Entstehen von Dienstleistungen wie Carsharing. Dahinter steht die Idee, ob wirklich jeder Stadtbewohner ein Auto haben muss? Und ob man dieses nicht teilen kann? In Berlin beispielsweise gibt es ein neues Angebot der Verkehrsbetriebe mit dem Namen „BerlKönig“: Dort definiert der Passagier auf dem Smartphone Start und Ziel seiner Reise, bekommt einen Einstiegspunkt genannt und wird dann von einer Art Sammeltaxi im Van abgeholt. „Noch liegen kleinteilige Angebote wie Car-Sharing bei 0,1 Prozent am Verkehrsaufkommen, aber es bewegt sich etwas“, ist sich Expertin Steindl sicher. Neun von zehn Bundesbürgern sehen zum Beispiel Vorteile in Sammelfahrten (RideSharing), hat aktuell der Branchenverband Bitkom herausgefunden.
Noch interessanter könnte es werden, wenn ein weiterer Trend Wirklichkeit wird – das autonome Fahren. „Roboter-Taxis könnten in Zukunft eher billiger sein als normale Taxis“, sagt Steindl. Schließlich fällt der Fahrer weg. Was aber, wenn hundert Menschen statt mit der U-Bahn einzeln im RoboterAuto zum Münchner Marienplatz fahren? Explodiert dann das Verkehrsaufkommen nicht, statt sich zu verringern? „Hochverdichtete Städte werden auch in Zukunft auf Massenmobilität setzen müssen“, meint deshalb Hochschullehrer Matthes. Autonom fahrende Autos wären dann eher für die Anbindung des ländlichen Raums da.
Vieles ist Zukunftsmusik. Für Matthes kommt es deshalb zuerst darauf an, die vorhandene Infrastruktur besser zu nutzen: „Ein besseres Parkplatzmanagement, eine bessere Auslastung von Bus und Bahn ist heute schon möglich.“Über das Smartphone könnten sich Nutzer anzeigen lassen, wie sie am schnellsten ans Ziel kommen – mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Dienste wie Google geben schon einen Eindruck davon.
Matthes hat deshalb zwei Forderungen. Erstens den Mut, vorhandene Daten zu nutzen: „Wir haben heute schon Daten, wo Züge stehen und Autos fahren, die Daten sind aber nicht vernetzt“, kritisiert er. „Ohne einen Datenaustausch bekommen wir keine smarte Mobilität.“Aus seiner Sicht müssten Autobauer und öffentlicher Nahverkehr sich dazu überwinden, Daten zusammenzulegen
Bestehende Daten besser nutzen
und zusammen Dienstleistungen zu entwickeln – sonst übernähmen IT-Konzerne wie Google den Markt.
Und Matthes fordert, dass die Städte eine Vision ihrer Zukunft definieren müssen. Aus seiner Sicht sitzen sie derzeit zu viele Probleme aus, statt Rahmenbedingungen zu ändern: „Ich zahle im Münchner Stadtteil Lehel 30 Euro für meinen Anwohnerparkausweis – das ist absurd billig“, berichtet er. „Wenn wir so weitermachen, bekommen wir wirklich den Kollaps.“