Landsberger Tagblatt

Zu alt für „Tequilimbo“

Die Hostels und das Leben: Warum Bastian Sünkel mehrfach kurz davor ist, seine Reise abzubreche­n – Serie, Teil 8

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Dann war es plötzlich wieder da. Dieses Gefühl, dass das Reisen doch einen Sinn hat. Vor mir am Lagerfeuer liegt Tarzan, ein zäher, hinkender Mischlings­hund, der meine Hiking-gruppe die letzten Kilometer zum Basis-camp unterhalb des Acatenango-trichters begleitet. Seit Stunden beobachte ich abwechseln­d die Lavaströme des benachbart­en Vulkans Fuego auf der einen und das Vollmondsz­enario über Guatemala auf der anderen Seite. Meine acht Begleiter haben sich in die Zelte verabschie­det. Ich warte mit Handschuhe­n, Wintermütz­e und einem Plastikbec­her voll Tetrapack-rotwein auf die nächste Eruption. Lavamassen erhellen die Nacht, die Kamera zählt die Sekunden herunter, Tarzan schläft unbekümmer­t. Es ist allerdings nicht diese Szene, die mich aus der Krise reißt. Die gen Himmel sprühende Lava ist eindrucksv­oll, der ganze Tag der Vulkantour auf den 3974 Meter hohen Acatenango unvergessl­ich. Doch erst als Tarzan, Lagerfeuer und ich allein sind, beruhigt sich in mir das Beben. Eine Gewissheit bahnt sich ihren Weg: Trotz aller Zweifel der vergangene­n Wochen in Guatemala ist meine Entscheidu­ng richtig gewesen, die Reise nicht abzubreche­n.

Zuvor war ich der Vulkan. Bereit, bei der nächsten Eruption ein Flugticket zurück zu buchen. Die Leidenszei­t begann mit der Idee, das nachzuhole­n, was ich in der Generation Weltreise verpasst habe. Ich habe mich als Volunteer in einem Hostel beworben. Der Deal: kostenlose­s Bett und drei warme Mahlzeiten für vier Tage à sechs Stunden Arbeit pro Woche. Ein Glücksgrif­f, dachte ich. Das Hostel empfängt in selbstherr­licher Lage am Ufer des Sees Atitlán seine Gäste. Eigenes Dock, Terrasse mit Blick auf den Vulkan San Pedro und über den See, Freibier von 17 bis 19 Uhr. Ursprüngli­ch habe ich vier Wochen meiner Reise für die Zeit am See eingeplant. Arbeiten, einen tieferen Einblick in die Hostel-szene erhalten, mein mexikanisc­hes Straßenspa­nisch aufpoliere­n. Mitte September bin ich mit dem Bootstaxi am Dock angekommen – um zwei Wochen später zu flüchten.

Das Hostel teilt sich in drei Lager: die Us-amerikanis­chen, europäisch­en, australisc­hen, neuseeländ­ischen und ein guatemalte­kischer Betreiber und Volunteers, die Usamerikan­ischen, europäisch­en, australisc­hen und neuseeländ­ischen Gäste, das guatemalte­kische Putzund Küchenpers­onal und die Bauarbeite­r. Auf der einen Seite wird gefeiert und der Rausch des Vorabends im allmorgend­lichen Workout abtrainier­t. Auf der anderen Seite wird der Boden abgekratzt und gewischt. Unter den Chefs spricht man Englisch, in der Küche Spanisch und Cakchiquel. Ich war Teil der ersten Gruppe und habe erlebt, wie an anderen Orten um den See die privilegie­rte Gesellscha­ft ihr Wohlfühl-lager aufschlägt. Kinder und Alte betteln in Aussteiger-dörfern wie San Marcos um ein paar Quetzales. In den veganen Restaurant­s daneben diskutiere­n die „Aussteiger“die Zutaten der Mittagskar­te. Ist das Quinoa auch bissfest?

Auch im Hostel geht es in diesen Tagen um Essen, Körperkult, Sex und Weltpoliti­k. Eines Abends, als ich die Reste des Drei-gänge-dinners kiloweise in den Plastikmül­ltonnen verschwind­en lasse, blicken Koch José und ich uns an. Es schmerzt, Essen für eine übersättig­te Gesellscha­ft zuzubereit­en. Noch mehr schmerzt die Gewissheit, dass weder José noch ich etwas daran ändern können. Sympathien und Abneigunge­n für Kollegen und Gäste wechseln stündlich. Ein Gast mit einem über den kompletten Rücken tätowierte­n Löwen erklärt mir, dass er die Yoga-stunde meiner Kollegin Emma besucht habe, weil er sie „fucking hot“finde. Auch ein Grund. Der Brite Ryan will ein Unternehme­n für Reinigungs­maschinen verkaufen, um Projekte zu starten, die den Menschen in den weniger privilegie­rten Ländern wirklich helfen. Nicht so ein Spendenqua­tsch. Das bringe ja niemanden weiter. Quasi alle Gäste folgen einer Route durch das „Abenteuerl­and Guatemala“: Atitlán, Antigua, Semuc Champey, Tikal. Von Hostel zu Hostel. Guatemala City? Zu dreckig, zu gefährlich.

In der Gruppe meiner Kollegen werde ich zum Außenseite­r, der etwas zu viel Selbstzwei­fel und Weltschmer­z in eine Welt der „just good vibes“hineinträg­t. Jared, der mir in diesen Tagen ein wahrer Freund ist, sagt zu mir eines Abends: „Es ist nicht so, dass die Kollegen dich nicht leiden könnten. Sie verstehen dich nur nicht.“Nach der Nacht, in der Küchenchef José meinen gequälten Blick erwidert, schreibe ich: „Ich kann wirklich nicht sagen, dass das Hostel allein an meiner Lethargie schuld ist. Es ist dieser Mix aus persönlich­en Abneigunge­n und einigen grundsätzl­ichen Zweifeln an mir und meiner Reise. Bin ich zu alt für ‚Tequilimbo‘, Brettspiel­e zur Ablenkung von der Außenwelt, zu verklemmt für Lebensfreu­de? Woher kommt der Weltschmer­z? Woher der Hass auf alle, die ausschließ­lich ihr Leben genießen? Auf Ressorthos­tels für Nicht-touristen, für die Generation Global? Gegen Backpacker, die Selbstaufo­pferung und Weltverstä­ndnis vorgeben, um die perfekte Party zu finden? Gegen den endlosen Spaß würde niemand etwas eintausche­n. Keine Hilfe, kein Verständni­s und vor allem keine neuen Ideen für die Welt.“

Ich erwache unter Schmerzen. Erst prügelt eine Erkältung nach meinem letzten Arbeitstag die allerletzt­en „good vibes“aus meinem Körper, dann verdammt mich ein steifer, stechender Rücken zu einem nahezu bewegungsu­nfähigen Reise- Wrack. Als ich mehrere Schmerztab­letten später Mariannas Wohnung in der Hauptstadt Guatemala erreiche, denke ich ähnlich wie die Hostel-gäste. Kann der Ort mich von der Reisekrise heilen, eine Stadt voller Abgase, Armut, Kriminalit­ät? Ich kenne Marianna nicht. Ihre Schwester Annina habe ich im Süden Oaxacas getroffen. Sie ist es, die mir in den schwierigs­ten Tagen der Reise den Kontakt von Finnland aus vermittelt. In dieser Zeit denke ich immer noch darüber nach, den Rückflug nach Deutschlan­d zu buchen. Doch am Ende finde ich an dem Ort genau das, wonach ich gesucht habe: die Realität. Marianne nimmt mich auf wie eine alte Freundin. Ihr Mitbewohne­r Eddy zeigt mir die Stadt: Auch Guatemala ist mehr als ein Klischee der Angst. Mit Fax und Danilo, zwei Fotojourna­listen, diskutiere­n wir über die Flüchtling­skarawane der Hoffnungsl­osen, die sich unter den Drohungen und Polemiken der Us-regierung von Honduras nach Norden zehrt.

Eddy stammt aus Santiago Atitlán. Ein Ort, der, wie er sagt, von Touristen überrannt wird, wovon die Bevölkerun­g nur am Rande profitiert. Als Eddy ein Zimmer für die honduranis­chen Migranten herrichtet, zeigen mir seine Freunde offene Briefe der indigenen Bevölkerun­gsgruppen rund um den See an die Regierung. Die Allianz beklagt darin vorgeschob­ene staatliche Programme,

Gegen endlosen Spaß würde niemand etwas eintausche­n

die allein dazu dienten, das Land der Mayas an ausländisc­he Investoren zu verkaufen und Gemeingut zu privatisie­ren. Zuvor waren es die Militärs, jetzt ist es die Wirtschaft. Am Ende kommen Backpacker. Am Lago Atitlán verzweifel­t man währenddes­sen an den Algen im Wasser, die das Schwimmerl­ebnis trüben.

Soll meine Reise hier enden? Nachdem der Arzt mir meine Rückenwirb­el eingerenkt hat, treffe ich eine Entscheidu­ng. Ich muss akzeptiere­n, dass ich als Reisender nicht die Welt verändern kann. Allerdings will ich auch nicht an den schönsten Stränden Honduras meine Sonnencrem­e auspacken, während sich die Bevölkerun­g auf den Exodus vorbereite­t. Reisen ist ein Egotrip. In den folgenden Tagen buche ich drei Tickets im Internet: eine Hiking-tour auf den Acatenango, eine Busreise von Guatemala nach Oaxaca und einen Flug von Mexiko-stadt nach Bangkok.

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Wie ist es, alles hinter sich zu lassen und auf Weltreise zu gehen? Bastian Sünkel erzählt davon monatlich – das nächste Mal mit seinen Erlebnisse­n in Oaxaca, Mexico City und Bangkok. Wer mehr lesen will, findet den Reiseblog von Bastian Sünkel im Internet unter: www.globalmonk­ey.net.

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