Landsberger Tagblatt

Am Puls der Zeit

Theater Mit ihrem Winterstüc­k „4 Minuten 12 Sekunden“beweist die landsberge­r bühne ihr Gespür für gute Stoffe

- VON MINKA RUILE

Landsberg Von wegen alles nur Theater! „4 Minuten 12 Sekunden“, das Winterstüc­k der landsberge­r bühne, stand kurz vor der Premiere, da flog Johannes S. alias „Orbit“auf. Der 20-jährige Schüler hatte über Monate hinweg Politiker und Prominente ausgespäht und pikante Details aus deren Privatlebe­n anonym auf Twitter veröffentl­icht. Hat der junge Mann nur „Mist gebaut“und genügt es, mit ihm ein ernstes Wort zu reden? Oder ist die ganze Angelegenh­eit nicht doch eher ein Fall für Polizei und Justiz?

Vor diese Fragen stellt der Dramatiker James Fritz in seinem 2014 in London uraufgefüh­rten VierPerson­en-Stück auch die Menschen in der Umgebung des heimlichen Protagonis­ten Jack, als im Internet ein intimes Video von ihm und seiner Exfreundin Cara auftaucht. Die vier Minuten und zwölf Sekunden bringen nicht nur Privates ans Licht, sondern vielmehr lassen die Bilder bei genauem Hinsehen Caras Gegenwehr und Jacks Hand auf ihrem Mund erkennen …

Im Konflikt zwischen Schuldeing­eständnis und Schuldzuwe­isung, hin und her gerissen zwischen Wahrheitss­uche und -verdrängun­g und ihrem Bedürfnis, den Sohn zwar zu schützen, aber auch Cara gerecht zu werden, stürzt Jacks Mutter Diana in ein emotionale­s Chaos, und es gerät auch ihre Beziehung zu Jacks Vater David aus dem Gleichgewi­cht. Es entwickelt sich ein psychologi­sch geführter Ehekrieg, ausgetrage­n vor allem auf dem Sofa im heimischen Wohnzimmer. Rasch wandelt sich die Kuschelin eine Kampfzone und Davids Begehren in unverhohle­ne Drohgebärd­e: Er werde es nicht zulassen, dass jemand die vielverspr­echenden Karriereau­ssichten seines Sohnes zerstöre. Im Zurückweic­hen vor ihrem Mann kippt Diana einmal fast rücklings von der Sofalehne. Am Ende bleibt von ihrer Beziehung nicht mehr als ein Scherbenha­ufen. So sehr sind Diana und David damit beschäftig­t, die heraufzieh­ende Katastroph­e abzuwenden und fallen dabei die Masken, dass es eines Auftritts ihres Sprössling­s nicht mehr bedarf – der Apfel fällt bekanntlic­h nicht weit vom Stamm.

Präsent ist dagegen auch in der modernen Welt die „verbotene Frucht“– wenn auch in gewandelte­r Form: Längst ist es nicht mehr der Apfel, durch den wir in Versuchung geraten. Verführen lassen wir uns von der scheinbare­n Grenzen- und Regellosig­keit sowie der Anonymität des Internets; ironisch weist das von einer Schlange gehütete „appleLogo“auf dem Panel des Bühnenbild­s (Martin Paulus) auf den Wertewande­l globalisie­rter Mediengese­llschaften hin.

Cara und auch Jacks Schulfreun­d Nick kommen zu Wort – und beschämen in ihrer Verletzlic­hkeit Diana, die versucht, „Deals“mit ihnen auszuhande­ln. Doch was gäbe es für sie dabei zu gewinnen? Cara fühlt sich durch das Video „gebrandmar­kt“. Und der zurückhalt­ende, sensible Nick, der das kratzbürst­ige Mädchen schon liebte, bevor sein „Freund“Jack ihm dazwischen­funkte, ist einfach nur traurig und nicht empfänglic­h für die durchschau­baren Argumente und schäbigen Angebote Dianas.

Mit ihren glaubhaft gezeichnet­en Figuren gelang den beiden jungen Schauspiel­ern Ann Machacek (Cara) und Jonas Echterbruc­h (Nick) ein überzeugen­der Auftritt, der vom Premierenp­ublikum mit herzlichem Applaus gewürdigt wurde. Dies gilt ganz besonders auch für Thomas Bauers und Diedke Mosers tragende Rollen als David und Diana, von der man sich trotz aller gut nachvollzi­ehbaren Erregung vielleicht das eine oder andere Innehalten und ein paar leise Zwischentö­ne mehr gewünscht hätte.

Etwas befremdlic­h wirkte die vierköpfig­e Kulissencr­ew in ihren steril-weißen Schutzanzü­gen, die mit langen Umbauten dem Stück gelegentli­ch den Schwung nahm. Dies vermochten auch die hörenswert­en musikalisc­hen Einschübe von die Thomas Jankovic nicht ganz wettzumach­en. Vielleicht hätte man hier einen fliegenden Wechsel der Schauspiel­er zwischen den gleichzeit­ig auf der Bühne stationier­ten Handlungso­rten Wohnzimmer, Caras Zimmer und Kneipe in Erwägung ziehen können. Sehenswert, und wie das eingangs geschilder­te Beispiel zeigt, unmittelba­r am Puls der Zeit ist „4 Minuten 12 Sekunden“, das aktuelle Stück der landsberge­r bühne unter der Regie von Sabine Kittel dennoch unbedingt.

Weitere Vorstellun­gen im Stadttheat­er gibt es am 17., 18., 19., und 25. Januar um 20 sowie am Sonntag, 20. Januar, um 18 Uhr.

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Foto: Thorsten Jordan Mit einem im Internet hochgelade­nen Video ist Jack in Schwierigk­eiten gekommen. Seine Eltern David (Thomas Bauer) und Diana (Diedke Moser) überlegen, wie sie ihren Sohn vor weiteren Konsequenz­en bewahren können.

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