Verlorene Paradiese
Bildband Bei den Tschuktschen, Suri oder den Sun: Unterwegs an den Rändern der Welt
Markus Mauthe ist nicht nur ein engagierter Naturfotograf, sondern auch ein leidenschaftlicher Klimaschützer. Mehr als drei Jahre war er für sein neues Projekt in den entlegensten Gebieten unterwegs und hat Menschen besucht, die an den Rändern unserer westlich geprägten Welt leben und „sich den Spielregeln der Moderne so weit wie möglich widersetzen“, wie Florens Eckert im Vorwort schreibt.
22 indigene Volksgruppen hat Mauthe porträtiert – in Tropenwäldern, Gebirgen, Wüsten, auf dem Ozean und im eisigen Norden. Sein Buch ist ein Aufschrei gegen die Ausbeutung, „die inzwischen in die letzten Ecke der Erde reicht“. Mit seinen großartigen Porträts will er die Geschichten der Betroffenen erzählen, denen eine Stimme geben, deren Lebensräume mit bestürzender Hochgeschwindigkeit schwinden. Er war bei den kriegerischen Suri im Südsudan. Bei den christlichen Chin in Myanmar, deren Frau- en sich die Gesichter tätowieren. Er hat die Awa am Amazonas fotografiert und dabei das Gefühl gehabt, „sowohl deren letztes Kapitel zu erleben als auch tief in ihre Vergangenheit zu blicken“.
Er war bei den Himba und den San in Namibia, deren Kinder sich schämen, einer minderwertigen Kultur anzugehören. Er hat das Omo-Tal durchstreift, wo die Touristen einzigartige Erlebnisse erwarten und mit dazu beitragen, dass be- stimmte Traditionen erhalten bleiben – wenn auch als inszeniertes Touristen-Spektakel. Denn die Lebensgrundlage der Stämme ist durch den Staudamm zerstört. „Das Elend und der kulturelle Verfall werden in Kauf genommen, die ökologischen Probleme einfach verleugnet“, schreibt Mauthe und resigniert: „Das Kapital gewinnt heutzutage eigentlich immer.“
Mit seinem Buch will der Fotograf ein Zeichen dagegen setzen. Nie hat er die Würde seiner Fotomodelle verletzt. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, hat er bei den Mehinaku in Brasilien zu einem drastischen Mittel gegriffen: Er ließ die Hose runter, um den Menschen zu zeigen, dass Nacktheit keine Schande ist. Rücksichtslosigkeit ist seine Sache nicht, aber er prangert die Rücksichtslosigkeit an, mit der Minenbetreiber, Holzwirtschaft und Politik gegen die Menschen vorgehen, die ihnen schutzlos ausgeliefert sind wie in Papua. Den Tschuktschen in Russland setzt ein anderer Feind zu, der Klimawandel.
Es sind starke Bilder einer verschwindenden Welt, mit denen Markus Mauthe die Leser konfrontiert. Vielleicht gelingt es ihm auch, Verständnis zu wecken für die Lebensweisen der indigenen Gruppen, damit ihnen die Touristen, die zu ihnen vordringen, auch mit Respekt begegnen. Lilo Solcher
» Markus Mauthe: Lost – Menschen an den Rändern der Welt. Knesebeck, 320 S., 50 ¤