Wenn Blutspenden verboten ist
Homosexuelle Spender müssen ein Jahr auf Sex verzichten. Viele empfinden das als Diskriminierung. Auch ein 29-Jähriger, der sich bewusst darüber hinwegsetzt. Wie groß sind die Risiken wirklich?
Augsburg Ein Haus am Augsburger Stadtrand, Jugendstil. Im Garten spreizt der Kirschbaum seine spröden Äste. Marius, 29, kommt vom Büro nach Hause. Sakko, Hemd, keine Krawatte. Aus seiner Hosentasche kramt er ein Portemonnaie, darin ein Blutspendeausweis. Er legt ihn auf den Couchtisch. Eigentlich dürfte er ihn gar nicht besitzen, denn Marius ist bisexuell.
Männer, die Sex mit anderen Männern haben – Männer wie Marius – dürfen in Deutschland nach dem Transfusionsgesetz nur in Ausnahmefällen Blut spenden. Bis vor wenigen Jahren war es ihnen sogar generell untersagt. Damals hielt man das Restrisiko für zu groß. Denn statistisch gesehen sind sie häufiger mit dem Aids auslösenden HI-Virus oder Hepatitis C infiziert als heterosexuelle Menschen. Schwulenverbände prangerten diese Regelung als diskriminierend an, bis die Bundesärztekammer schließlich auf die Einwände reagierte. Zusammen mit dem Gesundheitsministerium, dem Robert-Koch- und dem Paul-Ehrlich-Institut änderte es die Blutspenderichtlinien im Jahr 2017. Seither sind homo- und bisexuelle Männer zur Spende zugelassen, wenn sie mindestens zwölf Monate keinen sexuellen Kontakt hatten.
Ein Jahr Sperrfrist also, ist das realistisch? Marius, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, schüttelt den Kopf. Anders als andere will er sich nicht einfach ausschließen lassen – und protestiert gegen die Vorgaben der Bundesärztekammer.
Doch war es nicht der Trotz, der ihn erst zum Spender machte. Reiner Zufall sei es gewesen, gibt Mari- zu. Schon vor einiger Zeit, der junge Mann studierte an einer Hochschule, habe ihn ein Team des Bayerischen Roten Kreuzes bei einer Kampagne in seiner Heimatstadt angesprochen. „Damals war mir noch gar nicht bewusst, wie viele Bluttransfusionen benötigt werden.“Allein in Deutschland sind es 15000 Konserven am Tag. Regelmäßig zur Spende gehen aber nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung. Insbesondere in Sommer- und Ferienmonaten, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, könne es daher zu Versorgungsengpässen kommen.
Marius gab sich interessiert, informierte sich im Internet und ging kurz darauf zu einem Spendetermin in einer nahegelegenen Schule. Mitarbeiter maßen den Blutdruck, entnahmen eine Probe. „Gruppe A negativ“, sagte einer zum anderen. Dazu sollte der angehende Ingenieur einen Fragebogen ausfüllen, einige Felder ließ er frei. Es dauerte nicht lange, bis ein Arzt ihn darauf ansprach. Ob er in den vergangenen Wochen Sex mit Männern hatte? Marius verneinte – und log. Ein schlechtes Gewissen hatte er nicht.
Die neuste Richtlinie der Bundesärztekammer beruht auf Vertrauen. Man kann bei den Spendern nicht überprüfen, wann und mit wem sie zuletzt Sex hatten. Daher kommt es immer wieder vor, dass Menschen ihre sexuelle Identität verschweigen. Das funktioniert allerdings nicht immer: Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts zufolge gibt es jährlich etwa 100 Spender in Deutschland, bei denen durch Labortests eine HIV-Infektion festgestellt wird. Die Hälfte davon sind schwule Männer, die das laut Untersuchungen des Paul-Ehrlich-Instituts in dem Fragebogen nicht angegeben hatten.
Weshalb sie ihre Neigung verheimlichen, ist nicht ganz klar. Doch gebe es vereinzelt Situationen, in denen Menschen unter sozialem Druck stehen, erklärt Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut: „Wenn sie zum Beispiel in der Gruppe zum Spendetermin gehen und Angst haben, sich vor einem anderen outen zu müssen.“Damit gerade das nicht geschieht, gibt es den „vertraulichen Selbstausschluss“– ein Kreuz im ärztlichen Fragebogen mit den Worten Spende „bitte nicht benutzen“.
Dass er seit vielen Jahren Institutionen belügt, ist für Marius inzwischen normal. Bei sich sieht der Augsburger keine Schuld. Wenn überhaupt, betont er, liege der Fehler im System. Ihn stört es, dass Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex haben, „faktisch von der Richtlinie ausgegrenzt“sind und an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden. „Man steckt uns in die gleiche Schublade wie Sexarbeiter und Drogen-Junkies.“
Tatsächlich spricht die Bundesärztekammer in ihrer Richtlinie von einer sogenannten Risikogruppe. Wörtlich benennt sie Personen, „deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten“bergen. Dazu gehören heterosexuelle Personen mit häufig wechselnden Partnern ebenso wie Prostituierte, transsexuelle Menschen – und Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex haben. Rein statistisch gesehen, scheint die mehrmonatige Rückstellung auch begründet: Nach wie vor fallen allein auf homo- und bisexuelus le Männer rund zwei Drittel aller Neuinfektionen mit HIV, bestätigt das Robert-Koch-Institut. Weil deren Anteil an der Gesamtbevölkerung auf etwa drei bis fünf Prozent geschätzt wird, ist das Infektionsrisiko für sie enorm hoch.
Bei Marius treffen die Zahlen auf Skepsis. Sein sexuelles Risiko sei nicht überdurchschnittlich, glaubt der Ingenieur. Zwar lebe er nicht enthaltsam. „Trotzdem gehe ich nicht gleich mit jedem ins Bett, der nichts von Verhütung hält.“
Markus Apel vom Lesben- und Schwulenverband in Bayern etwa bezeichnet die Richtlinie als einseitige Diskriminierung: „Hier werden Gruppen marginalisiert“, sagt er. „Menschen, die sich monogam verhalten und Safer Sex praktizieren“, blende die Bundesärztekammer vollkommen aus. Nicht der gleichgeschlechtliche Sex sei risikobehaftet, so die Argumentation. In der Debatte müsse es vielmehr darum gehen, ob und wie man sich vor Krankheiten schützt.
Auch Marius sieht eine Alternative in der Safer-Sex-Regelung. Nach eigenen Angaben hatte der 29-Jährige sechs Sexualpartner, zwei davon waren Männer. Immer, versichert er, habe er Kondome benutzt. Außerdem hat er sich mehreren AidsTests unterzogen. Der letzte liegt zwei Monate zurück und war negativ. Dass er sich trotz aller Maßnahmen infizieren könnte, kann Marius nicht prinzipiell ausschließen. Hier vertraut der 29-Jährige auf die Kontrollen seines Spenderbluts. Nach Ansicht des Paul-Ehrlich-Instituts ist das genau der Punkt: Obwohl alle Blutspenden mit empfindlichen Methoden auf HI-Viren getestet werden, können Laborergebnisse in der Frühphase einer Infektion falsch ausfallen.
Dieses „diagnostische Fenster“, heißt es vonseiten der Einrichtung, sei die wesentliche Ursache dafür, dass weiterhin ein Restrisiko von HIV-Übertragungen besteht. Mit weniger als 0,1 Prozent ist eine Ansteckung mit Spenderblut zwar relativ unwahrscheinlich. Dennoch sind in den vergangenen 20 Jahren insgesamt sechs Fälle in Deutschland gemeldet worden. Diese hätten vermieden werden können, „wenn die entsprechenden Spender und Spenderinnen den Fragebogen korrekt ausgefüllt hätten“.
In der neuen Richtlinie seien homo- und bisexuelle Männer nicht mehr lebenslang von der Spende ausgeschlossen, fasst Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut zusammen. „Das ist ein Fortschritt.“Freilich finde sie es schade, wenn sich manch einer weiter diskriminiert fühlt. Priorität habe aber die Sicherheit des Empfängers. „Lieber schließen wir zu viele aus als zu wenige“, bekräftigt sie. Denn, so sagt Stöcker, einen wirklichen Mangel gibt es dank der Spendebereitschaft nicht, – auch wenn Blutspenden in manchen Monaten knapp werden. Argumente wie Monogamie und Safer Sex lässt sie ebenfalls nicht gelten. „Kondome können reißen“, sagt Stöcker. Sie wisse außerdem von einem Fall, in dem ein Mann – seit Jahrzehnten in einer vermeintlich treuen Partnerschaft – durch seine Spende erfahren habe, dass er sich und nun auch einen anderen mit HIV infiziert hatte. „Den hat es doppelt getroffen.“
Der Augsburger sieht bei sich keine Schuld