Mieter sollen Aldi aufs Dach steigen
Studie Auf den Dächern von Discountern oder Parkhäusern könnten hunderttausende zusätzliche Appartements entstehen. Ist die Wohnungsnot am Ende ganz einfach zu lösen?
Berlin Unten Aldi, oben Appartement: Im Kampf gegen die Wohnungsnot könnten durch die Bebauung von Büro- und Geschäftshäusern, von Wohngebäuden, aber eben auch Discountern deutschlandweit bis zu 2,7 Millionen neue Wohnungen entstehen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine Studie der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel Instituts. Das Charmante an der Idee: Es wird dafür keine zusätzliche Fläche verbraucht und die Wohnungen können billiger gebaut werden, weil die Infrastruktur wie Strom oder Wasser ohnehin schon da ist.
„Nachverdichtung“ist in diesem Fall das Zauberwort. Was neben der Schließung von Baulücken eben auch bedeutet, auf bestehende Gebäude noch ein oder mehrere Stockwerke draufzusetzen. In Betracht kommen dafür auch ehemalige Tankstellen oder Parkhäuser. Im Schnitt lassen sich den Experten zufolge 1,5 Stockwerke auf solchen Gebäuden errichten, ohne die Statik verändern zu müssen. Der Traum vom neuen Heim lässt sich der Studie zufolge aber nicht nur auf, sondern auch in Gebäuden verwirklichen, beispielsweise in leer stehenden Bürogebäuden.
Die Studie wurde von verschiedenen Wohnungs- und Bauverbänden in Auftrag gegeben. Sie alle haben natürlich ein geschäftliches Interessen am Bau zusätzlicher Wohnungen. So greift die Untersuchung die seit langem bekannten Zahlen der Bauwirtschaft auf, wonach jedes Jahr in Deutschland 400000 neue Wohnungen entstehen müssten, tatsächlich im vergangenen Jahr aber nur 300000 gebaut worden seien. Die Studie scheint die Lösung des Problems zu bieten: Allein durch die Aufstockung und alternative Nutzung von Gebäuden, die bislang nicht bewohnt werden, lassen sich demnach bundesweit 560000 Wohnungen schaffen. Leer stehende Büro- und Behördengebäude könnten in weitere 350 000 Wohneinheiten umgebaut werden. Auf den Filialen der 20 größten Lebensmittelketten und Discounter ist den Berechnungen zufolge Platz für 400000 zusätzliche Wohnungen. Selbst Parkhäuser können nach Einschätzung der Experten das Fundament für neue Wohnungen bilden. Mindestens 20000 Einheiten könnten dadurch frisch auf den Markt kommen.
Schließlich weist die Untersu- chung noch ein Potenzial von 1,1 bis 1,5 Millionen Wohnungen aus, die auf Wohngebäuden der 50er bis 90er Jahre entstehen könnten. Man geht hier von einer durchschnittlichen Wohnfläche von 75 Quadratmetern aus.
Am Beispiel der Büroflächenbebauung zeigen sich die Chancen auf. Frankfurt am Main beispielsweise hat einen erheblichen Wohnungsbedarf, gleichzeitig aber mit 10,5 Prozent einen vergleichsweise hohen Leerstand an Büroflächen zu einer Durchschnittsmiete von 13,90 Euro. Ein Umbau in Wohnungen macht da durchaus Sinn. Die Frage ist natürlich, ob viel auch schön ist. Denn neue Wohnungen auf Brachflächen oder eingeschossigen Discountern verändern das Stadtbild und diese Verdichtung löst zunächst häufig negative Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger aus. Die Studie liefert hierauf einigermaßen verblüffende Antworten: Demnach liegt die Bevölkerungsdichte in Hamburg bei 2340, in Frankfurt am Main bei 2960, in Berlin bei 4060 und in München bei 4670 Einwohnern pro Quadratkilometer. Die Innenstadt von Wien, die von vielen Touristen als recht gemütlich und schön empfunden wird, hat hingegen 8465 Einwohner pro Quadratkilometer.
Die Bauwirtschaft stellt Bedingungen
London bringt es sogar auf 12600 und Paris gar auf 21290 Einwohner pro Quadratkilometer. In Deutschland ist im wahrsten Sinne des Worte also noch eine Menge Luft nach oben.
Allerdings hat auch diese Medaille eine Kehrseite. Denn die Wohnungsund Bauwirtschaft verbindet ihr Versprechen von mehr Wohnraum mit der Forderung nach einer Verbesserung der Rahmenbedingungen. Gemeint sind damit einerseits Änderungen im Bauplanungsund Bauordnungsrecht – die wären verschmerzbar, weil sie kaum Geld kosten würden. Die Auftraggeber der Studie halten aber auch die Hand auf. Im Raum steht unter anderem die Forderung nach einer höheren steuerlichen Abschreibungsquote für private Investoren. Vier bis fünf Prozent statt der bisherigen Normalabschreibung von zwei Prozent sind gewünscht.
Auch auf dem Wunschzettel: die Neuauflage beziehungsweise Neujustierung von teuren Förderprogrammen.