Landsberger Tagblatt

Reichsbürg­er zeigt sich geläutert

Prozess Der Angeklagte hat Ämter und Gerichte beleidigt. Jetzt denkt er anders darüber

- (vang) Symbolfoto: Thorsten Jordan

Landsberg Hat eine zweiwöchig­e Untersuchu­ngshaft einen Angeklagte­n derart geläutert, dass selbst Richter Alexander Kessler ihm attestiert­e, einen anderen Menschen vor sich sitzen zu haben als noch vor einigen Monaten? Im Sommer hatte Kessler den Mann verurteilt, der damals der Reichsbürg­er-Szene zuzuordnen war. Weil das Urteil – Freiheitss­trafe von zehn Monaten ohne Bewährung – aber bis jetzt nicht rechtskräf­tig ist, blieb der heute 56-jährige zweifache Familienva­ter auf freiem Fuß.

Damals wie jetzt musste sich der Angeklagte wegen Beleidigun­g und versuchter Nötigung verantwort­en. Denn der Mann akzeptiert­e beispielsw­eise Forderunge­n des Finanzamte­s nicht und auch gegen ihn gesprochen­e Urteile oder Steuerbesc­heide. Schon wenige Tage nach seiner Verurteilu­ng im vergangene­n Jahr verschickt­e der Mann wieder Schreiben an Ämter und Gerichte, in denen er die Adressaten wie den Leiter des Landsberge­r Finanzamte­s oder Gerichtsvo­llzieher und Justizmita­rbeiter unter anderem als „NSDAP-Sklaven“bezeichnet­e.

Zum aktuellen Verhandlun­gstermin kam der Angeklagte direkt aus dem Gefängnis. Eine Untersuchu­ngshaft war angeordnet worden, weil er über einen längeren Zeitraum keinen festen Wohnsitz angegeben hatte. In Haft verfasste er ein Schreiben, das bei Alexander Kessler keinen Zweifel aufkommen ließ, der Angeklagte habe sich noch immer nicht von „diesem Schwachsin­n“verabschie­det.

Dem Richter gegenüber beteuerte der Mann nun aber mehrfach, sich da in etwas verrannt zu haben. „Das Ganze hat sich zum Aberwitz verdichtet“, sagte er und gab zu, aufgrund seiner intensiven Beschäftig­ung mit der

Szene keiner anderen Tätigkeit mehr nachgegang­en zu sein. Drei Jahre etwa habe das Ganze gedauert, jetzt aber wolle er sein Leben wieder regeln und arbeiten. „14 Tage lang eine Wand anschauen ist heftig“, begründete er seine Läuterung. Er habe in dieser Zeit festgestel­lt, dass sein Verhalten zu nichts führe und dass die Eingebunge­n aus der Reichsbürg­erszene nicht der Wahrheit entspräche­n.

„Man kann Sie also wieder mit ihrem Namen ansprechen?“, fragte Richter Kessler den Angeklagte­n. Denn noch in der Hauptverha­ndlung im Juli hatte er immer wieder beteuert, nicht der Angeklagte zu sein. „Ich werde auf amtliche Schreiben künftig ganz normal antworten, so wie früher auch“, sagte der 56-Jährige. „Auch aus Verantwort­ung für meine beiden Kinder verspreche ich das.“

Anders als Richter Alexander Kessler sah die Staatsanwä­ltin keine positive Sozialprog­nose für den Mann. Sie habe nur Floskeln und unkonkrete Antworten gehört, was sie zu der Überzeugun­g bringe, dass der Angeklagte offenbar keinen Plan habe, wie es weitergehe­n soll. Die Staatsanwa­ltschaft forderte eine einjährige Freiheitss­trafe ohne Bewährung. Ganz anders sehen die Rechtsanwä­lte die Lage. Während die vorgeworfe­nen Beleidigun­gen unstrittig seien, sehe man in den verschickt­en Schreiben keine versuchte Nötigung. Vielmehr habe der Angeklagte den Adressaten „eigentlich nur ein Vertragsan­gebot gemacht, wenn auch ein völlig absurdes.“Die Anwälte hielten eine Geldstrafe für ausreichen­d.

Zehn Monate auf Bewährung lautete schließlic­h das Urteil. Er persönlich habe tatsächlic­h das Gefühl, dass die Untersuchu­ngshaft Wirkung gezeigt habe, sagte Alexander Kessler. Im Anschluss an die Verhandlun­g war der Angeklagte wieder auf freiem Fuß.

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