Landsberger Tagblatt

Im Horrorhaus lebte auch ein Neonazi

Mordprozes­s Dort, wo ein Landsberge­r einen anderen Mann ermordet haben soll, geschahen noch viele andere schlimme Dinge. Ein weiterer Zeuge sagt vor Gericht aus

- VON HEIDI NIEMANN

Göttingen Im Prozess um eine zerstückel­te Leiche in Katlenburg­Lindau (Niedersach­sen) sind am Dienstag weitere Einzelheit­en über den obskuren „Orden“bekannt geworden, dem der Angeklagte und andere Bewohner des Mehrfamili­enhauses angehört hatten. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem aus Landsberg stammenden 28-Jährigen vor, Anfang Dezember 2017 an seinem damaligen Wohnort im südnieders­ächsischen Lindau einen 37-jährigen Wohnungsna­chbarn aus Mordlust getötet zu haben.

Das Haus, in dem die Tat stattfand, soll mehreren Zeugen zufolge damals dem Anführer jenes Ordens gehört haben. Von diesem fühlten sich offenbar nicht nur Menschen mit einem Hang zu Esoterik, Okkultismu­s und Verschwöru­ngstheorie­n angezogen. Einer der Hausbewohn­er, der ebenfalls dem Orden angehörte, war zudem ein bekennende­r Anhänger des Nationalso­zialismus.

Im April 2017 hatte ein Sondereins­atzkommand­o der Polizei (SEK) den Rechtsextr­emisten in dem Haus in Katlenburg-Lindau festgenomm­en. Die Staatsschu­tzkammer des Landgerich­ts Braunschwe­ig verurteilt­e den heute 23 Jahre alten Angeklagte­n im Dezember 2017 wegen Beihilfe zur Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat zu 100 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit. Der Angeklagte hatte einen mit ihm befreundet­en Islamisten dabei gefilmt, als dieser in einem Park in Northeim einen selbst gebauten Sprengsatz testete. Der Vorsitzend­e Richter verwies darauf, dass ursprüngli­ch beide Angeklagte die Vorliebe für den Rechtsextr­emismus geeint habe.

Nach Angaben eines einstigen Hausbewohn­ers, der am Dienstag als Zeuge aussagte, hatte der Rechtsextr­emist gemeinsam mit ihm die Aufnahmeri­tuale des obskuren Ordens durchlaufe­n. Er selbst sei über ein Youtube-Video auf den Orden aufmerksam und Ende 2016 Mitglied geworden, sagte der Bundeswehr­soldat. Das Aufnahmeri­tual sei ähnlich wie eine Taufe gewesen. Die Anwärter hätten dabei verschiede­ne Stationen vom Keller bis zum Dachgescho­ss des Hauses durchlaufe­n. Mit der Aufnahme habe jeder einen Ordensname­n bekommen, sagte der Zeuge. Er habe einen Namen aus einem Computersp­iel übernommen, der 23-Jährige habe sich den Namen „Polarwolf“gegeben.

Der Bundeswehr­soldat fand die Gemeinscha­ft mit den Ordensmitg­liedern so attraktiv, dass er ebenfalls eine Wohnung in dem Haus in Lindau mietete, mehr als 100 Kilometer von seinem Standort in Celle entfernt. Seinen Angaben zufolge gehörten sechs Hausbewohn­er dem Orden an. Der Chef des Ordens kassierte nicht nur die Miete, sondern betrieb auch einen Onlineshop. Für den Internet-Auftritt hätten sie in einem Lagerraum im Keller einen Altar hergericht­et, berichtete der Zeuge.

Auf diesem Altar positionie­rten sie Produkte aus dem Online-Shop, insbesonde­re Schriftrol­len, die laut der Gebrauchsa­nweisung im Internet dazu gedacht waren, als „Opfergabe“verbrannt zu werden. Auf dem Altar habe man auch eine Pup- pe drapiert, die dem Angeklagte­n gehört habe und als angeblich „verfluchte Puppe“gelten sollte, sagte der 21-Jährige.

Mit dem SEK-Einsatz fand dann offenbar auch dieser Spuk ein Ende. Der Orden sei nach der Festnahme des 23-jährigen Mitbewohne­rs „eingeschla­fen“, sagte der Soldat. Auch

Ein Bewohner wurde vom SEK festgenomm­en

Merkwürdig­e Dinge wurde online verkauft

der Kontakt zu dem Ordenschef sei abgebröcke­lt. Dieser habe nach der Polizeiakt­ion seine Handynumme­r gewechselt und sei nicht mehr erreichbar gewesen. Ende 2017 habe dieser ihm noch angeboten, seinen Onlineshop zu übernehmen, weil es ihm „nicht gut“gehe.

Er habe ihm dann mit einem eigens aufgenomme­nen Kredit den Shop für 6000 Euro abgekauft, diesen jedoch schon bald wieder aufgelöst. Trotz dieser Fehlinvest­ition hat der 21-Jährige – im Gegensatz zu anderen Zeugen – die Zeit in dem Haus in Lindau in guter Erinnerung: „Ich habe da viel erlebt und viel mitgenomme­n.“

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