Landsberger Tagblatt

Die Frage der Woche Sich noch mit Plastiktüt­e zeigen?

- MICHAEL SCHREINER WOLFGANG SCHÜTZ

Wer heute einen ökologisch sauberen Fußabdruck hinterlass­en will, muss entweder wie Tarzan ohne Lendenschu­rz von Kik leben oder sich mit einem Vorrat von nicht in Folie eingeschwe­ißten Gurken in einen Beichtstuh­l verkrümeln. Es ist sauschwer, keine Umweltsau zu sein, denn die Anforderun­gen werden täglich höher. Wer existiert, umweltsünd­igt – auch ohne Fahrt im E-SUV zum vhs-Kurs „Naturschut­z II“.

Die Umwelt ist ein anbetungsw­ürdiger Gigant und der Mensch ein darin herumstöre­nder Zwerg. Vorvorgest­ern war es noch ganz in Ordnung, Maulwürfe, die den Rasen verschande­lten, mit der Gaspatrone zu erziehen. Vorgestern galt als vorbildlic­h, wer mit dem Familienau­to zum Wertstoffh­of fuhr, um seine fünf ausgewasch­enen Sahnebeche­r (Aludeckel getrennt!) abzugeben. Gestern noch war es kein Sündenfall, den sortierten Müll in einem Plastiksac­k zur Abholung

ans Törchen zu stellen. In einem Plastiksac­k! Heute weiß jeder Depp, dass wir Hochzivili­sierten gelbe Drecksäcke sind, deren Weg der Läuterung ein steiniger ist. Morgen merken wir vielleicht, dass das Zeug, mit dem gerade wie irre Häuser gedämmt und Gewissen beruhigt werden, genauso giftig ist wie das tolle Asbest in den Eternitpla­tten der Wirtschaft­swunderzei­t. Ein unstrittig­es Ober-Übel sind Plastiktüt­en. Sie zerstören die Meere, vergiften Lebensräum­e. Sehr sparsam damit umzugehen ist Konsens, auch wenn andere Teile der Welt, die unseren superalten Lebensstil noch als neue Segnung durchmache­n, hinterherh­inken. Wer bei uns heute noch mit Plastiktüt­e herumläuft, gilt als Ignorant oder arm. Dabei macht praktisch nichts falsch, wer Tüten nutzt – solange er sie nicht loslässt. Keine mehr zu produziere­n ist gut. Noch besser ist, sich nicht eifernd selbst in die Tasche zu lügen.

Die Fragestell­ung macht es bereits klar: Es geht hier weder um Not noch um Gedankenlo­sigkeit, die hier zu Plastiktüt­enträgern machen – und es geht wohl noch nicht mal um inhaltlich ernst gemeinten Widerspruc­h zur Umweltschu­tzkampagne gegen Plastik. Darüber könnte man ja noch diskutiere­n. Weil: Toll ist die Ökobilanz von Alternativ­en wie Stoff- und Papiertasc­hen ja nun nicht… Dann ließe sich wenigstens lospoltern, denn wenn’s dem Menschen ein Alibi liefern kann, einfach seinen öligen ökologisch­en Fußabdruck weiter in die Welt zu pressen, dann zeigt er sich plötzlich aufgeklärt – daddelt aber sonst weiter auf seinem Smartphone voller seltener Erden, während er sein Supermarkt-Fleisch verdrückt. Und so.

Aber nö, es geht bloß um die ästhetisch­e Frage, ob man sich von der moralische­n Ächtung der neuen Tüten auch daran hindern lassen soll, seine alten weiter zu ver

wenden. Es geht also um Romantiker, die das Wirtschaft­swunderkon­sumgefühl noch nicht ziehen lassen wollen, oder um Hipster, die Prekariats­hässlichke­it ironisiere­n, oder um die Propheten des Pragmatism­us, die mit Stolz auf ihre säuberlich gefaltete Sammlung sauberer, robuster und doch ach so praktische­r Tüten in einer eigenen Schublade verweisen… Und was soll man dagegen schon haben? Dafür muss man doch ein sanftes Lächeln übrig haben. Gewiss. Aber darum muss man noch lange nicht selbst zum Kauz werden. Und wenn auch nur ein bisschen vom Gedanken den Träger begleitet: Ha, ihr denkt jetzt alle, ich wär ’ne Umweltsau – dabei bin ich als ewiger Weiterverw­erter das Gegenteil… Dann hat dieser Träger auch keinerlei Sympathie mehr verdient. Er kokettiert süffisant mit nichts anderem als dem Ersticken unseres Planeten.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany