Die Frage der Woche Sich noch mit Plastiktüte zeigen?
Wer heute einen ökologisch sauberen Fußabdruck hinterlassen will, muss entweder wie Tarzan ohne Lendenschurz von Kik leben oder sich mit einem Vorrat von nicht in Folie eingeschweißten Gurken in einen Beichtstuhl verkrümeln. Es ist sauschwer, keine Umweltsau zu sein, denn die Anforderungen werden täglich höher. Wer existiert, umweltsündigt – auch ohne Fahrt im E-SUV zum vhs-Kurs „Naturschutz II“.
Die Umwelt ist ein anbetungswürdiger Gigant und der Mensch ein darin herumstörender Zwerg. Vorvorgestern war es noch ganz in Ordnung, Maulwürfe, die den Rasen verschandelten, mit der Gaspatrone zu erziehen. Vorgestern galt als vorbildlich, wer mit dem Familienauto zum Wertstoffhof fuhr, um seine fünf ausgewaschenen Sahnebecher (Aludeckel getrennt!) abzugeben. Gestern noch war es kein Sündenfall, den sortierten Müll in einem Plastiksack zur Abholung
ans Törchen zu stellen. In einem Plastiksack! Heute weiß jeder Depp, dass wir Hochzivilisierten gelbe Drecksäcke sind, deren Weg der Läuterung ein steiniger ist. Morgen merken wir vielleicht, dass das Zeug, mit dem gerade wie irre Häuser gedämmt und Gewissen beruhigt werden, genauso giftig ist wie das tolle Asbest in den Eternitplatten der Wirtschaftswunderzeit. Ein unstrittiges Ober-Übel sind Plastiktüten. Sie zerstören die Meere, vergiften Lebensräume. Sehr sparsam damit umzugehen ist Konsens, auch wenn andere Teile der Welt, die unseren superalten Lebensstil noch als neue Segnung durchmachen, hinterherhinken. Wer bei uns heute noch mit Plastiktüte herumläuft, gilt als Ignorant oder arm. Dabei macht praktisch nichts falsch, wer Tüten nutzt – solange er sie nicht loslässt. Keine mehr zu produzieren ist gut. Noch besser ist, sich nicht eifernd selbst in die Tasche zu lügen.
Die Fragestellung macht es bereits klar: Es geht hier weder um Not noch um Gedankenlosigkeit, die hier zu Plastiktütenträgern machen – und es geht wohl noch nicht mal um inhaltlich ernst gemeinten Widerspruch zur Umweltschutzkampagne gegen Plastik. Darüber könnte man ja noch diskutieren. Weil: Toll ist die Ökobilanz von Alternativen wie Stoff- und Papiertaschen ja nun nicht… Dann ließe sich wenigstens lospoltern, denn wenn’s dem Menschen ein Alibi liefern kann, einfach seinen öligen ökologischen Fußabdruck weiter in die Welt zu pressen, dann zeigt er sich plötzlich aufgeklärt – daddelt aber sonst weiter auf seinem Smartphone voller seltener Erden, während er sein Supermarkt-Fleisch verdrückt. Und so.
Aber nö, es geht bloß um die ästhetische Frage, ob man sich von der moralischen Ächtung der neuen Tüten auch daran hindern lassen soll, seine alten weiter zu ver
wenden. Es geht also um Romantiker, die das Wirtschaftswunderkonsumgefühl noch nicht ziehen lassen wollen, oder um Hipster, die Prekariatshässlichkeit ironisieren, oder um die Propheten des Pragmatismus, die mit Stolz auf ihre säuberlich gefaltete Sammlung sauberer, robuster und doch ach so praktischer Tüten in einer eigenen Schublade verweisen… Und was soll man dagegen schon haben? Dafür muss man doch ein sanftes Lächeln übrig haben. Gewiss. Aber darum muss man noch lange nicht selbst zum Kauz werden. Und wenn auch nur ein bisschen vom Gedanken den Träger begleitet: Ha, ihr denkt jetzt alle, ich wär ’ne Umweltsau – dabei bin ich als ewiger Weiterverwerter das Gegenteil… Dann hat dieser Träger auch keinerlei Sympathie mehr verdient. Er kokettiert süffisant mit nichts anderem als dem Ersticken unseres Planeten.