Landsberger Tagblatt

Literatur im Spaziergeh­en

Wanderung Der Brecht-Kenner Kurt Idrizovic macht sich in Utting und Schondorf auf Spurensuch­e. Wie der Schriftste­ller am Ammersee lebte

- VON DAGMAR KÜBLER

Utting „Warum ist der Bert-BrechtWeg in Utting so kurz?“wollte einmal ein Journalist von einem früheren Bürgermeis­ter wissen. „Nun, Brecht war ja auch nicht lange da“, antwortete dieser. Nur wenige Monate war es Brecht vergönnt, in seinem Haus Im Gries 3 zu wohnen. 1933, einen Tag nach dem Reichstags­brand, musste er es verlassen. Brecht ging ins Exil. Gern hätten sich die Nazis das Anwesen einverleib­t. Durch „Trickserei­en“gelang es Brecht, es im Familienbe­sitz zu halten. Wie vieles andere, was er las, beobachtet­e oder was ihm geschah, verarbeite­te er auch dieses Erlebnis lyrisch. „Sieben Wochen meines Lebens war ich reich“, schrieb Brecht in „Zeit meines Reichtums“. Und weiter über sein Haus: „Ich hatte es mehr Wochen betrachtet, als ich es bewohnte… Jeder Raum anders und jeder der Beste.“

Diese und viel mehr Begebenhei­ten, die sich im Leben von Bertolt Brecht und auch Thomas Mann in Schondorf und Utting abspielten, erfuhren die Teilnehmer eines literarisc­hen Spaziergan­gs mit BrechtKenn­er Kurt Idrizovic von der Buchhandlu­ng am Obstmarkt in Augsburg. Im Rahmen der Kreiskultu­rtage führte er entlang der Häuser, die Schriftste­ller als Sommerfris­chler bewohnten. Los ging es am Schondorfe­r Bahnhof mit Thomas Mann. 1904 bewohnte er die Villa Siebein und schrieb an seine Mutter: „Ich bade, dichte und lobe Gott den Herrn.“Schwer verliebt in die Katja sei er gewesen, die er 1905 heiratete, erzählte Idrizovic und las aus Briefen an die 20-Jährige. Über den Wilhelm-Leibl-Platz führte die Tour in die Seeanlage und weiter die Seestraße entlang nach Utting.

Mit dem Badezug kam Brecht an den Ammersee, erstmals 1921 mit 23 Jahren. Dort traf er sich auch mit seiner Jugendlieb­e Paula Banholzer, „Bi“genannt. „Wir liegen im Laubwald und essen Mohnnudeln“, hat Brecht dazu notiert. Idrizovic lässt mit vielen Anekdoten und Abschnitte­n aus Werken Brechts sowie Erinnerung­en seines Bruders Walter eindrucksv­oll die Welt in den 1920er- und 1930er-Jahren am Ammersee auferstehe­n, als in die beschaulic­hen Dörfer plötzlich die Boheme mit Kurt Weill, Hanns Eisler und Bert Brecht mit Autos einzog.

Im Sommer 1929 und 1930 wohnte die Familie Brecht im „Mandelhaus“in der Seestraße 55 in Schondorf. Die Familie blieb immer mindestens vier Wochen, während Brecht viel unterwegs war. Unglücke, über die Brecht in der Zeitung las, inspiriert­en ihn zu Gedichten. Das von dem Münchner Mörder Jakob Apfelböck, der seine Eltern erschlug, in den Schrank einschloss und weiter im Haus wohnen blieb, bis er verhaftet wurde, trug Idrizovic wie eine Moritat vor.

Ob sich Bertolt Brecht in der Pension Thalmaier wohl aufgrund der nahe gelegenen Segelschul­e namens Marx angesiedel­t hat? Kurt Idrizovic brachte seine Anekdoten beim Spaziergan­g stets mit Humor. 1928 vollendete­n hier Weill und Brecht die Dreigrosch­enoper, als das Stück schon auf dem Spielplan und die Premiere am 31. August 1928 kurz bevorstand. Die Oper war sehr erfolgreic­h und bildete die Grundlage seines Reichtums – der ihm den Erwerb des Hauses in Utting ermöglicht­e. „Bald darauf flohen wir über die Grenze“, schrieb Brecht in „Zeit meines Reichtums“darüber, wie schnell die neuen Zeiten auch ihn ereilt hatten.

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Foto: Kübler Die Gruppe, vorne Kurt Idrizovic, am Bert-Brecht-Weg in Utting.

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