Geheimnis gelüftet?
Jahrzehntelang war unklar, wo sich das KZ-Außenlager Kaufering V befunden haben könnte. Jetzt ist sich der pensionierte Oberstleutnant Gerhard Roletscheck sicher, das Rätsel gelöst zu haben
Jahrzehntelang war unklar, wo sich das KZ-Außenlager Kaufering V. befunden haben könnte. Jetzt glaubt Gerhard Roletschek, die Lösung gefunden zu haben.
Landsberg/Türkenfeld Es war ein jahrzehntelanges Rätsel: Eines der elf Kauferinger Außenlager des KZ Dachau konnte bislang nie im Raum Landsberg verortet werden. Auch Gerhard Roletscheck hat dieses Rätsel um den als „Lager V“bezeichneten Ort lange beschäftigt. Im vergangenen Jahr, so berichtet der ehemalige Leiter der Militärgeschichtlichen Sammlung in der Welfenkaserne jetzt, stieß er auf dessen Spuren – und zwar gleich hinter der Landkreisgrenze an der Straße von Geltendorf nach Türkenfeld.
Die Existenz eines Lagers V wurde immer vermutet, da in den Dachauer Prozessen gegen das dort tätige Wachpersonal von insgesamt elf Außenlagern die Rede war. Konkret bekannt waren jedoch nur die Lager I bis IV und VI bis XI. Zu einem Lager V fehlten jegliche Hinweise, so gab es keine Notizen über Verlegungen und Arbeitseinsätze von Häftlingen. Vermutet wurde das Lager V aufgrund von Aussagen eines Wachmanns eine Zeit lang in Utting. Allerdings finden sich in Veröffentlichungen zur Türkenfelder Ortsgeschichte auch vereinzelt Hinweise auf ein KZ in der Umgebung des Dorfes.
Auf diese Spur wurde Gerhard Roletscheck durch Luftbildmaterial gebracht. US-amerikanische und britische Flugzeuge lieferten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs flächendeckend Luftaufnahmen von Deutschland. Lange Zeit waren jedoch entsprechende Bilder aus dem westlichen Ammerseegebiet nicht zugänglich. Das änderte sich 2018, als Roletscheck auf Aufnahmen aus einem US-Aufklärungsflugzeug vom 20. April 1945 stieß.
Am Rand einer Fotografie des Gebiets von Geltendorf und St. Ottilien fiel Roletscheck eine Wiese am östlichen Rand des großen Waldgebiets zwischen Geltendorf und Türkenfeld auf: helle Rechtecke und Linien und kurze Striche, die das Gelände begrenzen. Für Roletscheck war klar: Der Bildausschnitt zeigt Erdarbeiten, die den Bau von Gebäuden und Wegen vorbereiteten. Die kurzen Striche identifizierte er als Betonsäulen, mit denen ein Stacheldrahtzaun errichtet werden sollte. Da er auf dem Baugelände keine Schatten erkannte, geht der pensionierte Oberstleutnant davon aus, dass im April 1945 noch keine Gebäude standen. Wenige Tage später rückten bereits US-amerikanische Truppen in die Region vor. Der geplante Lagerbau kam nie zustande und wohl schon wenige Monate später dürfte buchstäblich Gras über das Lager V gewachsen sein.
Heute ist in der Landschaft davon nichts mehr zu erkennen, wie vor 1945 befindet sich dort eine Wiese. Nach dem Luftbild geht Roletscheck davon aus, dass bei Türkenfeld 32 Erdhütten gebaut werden sollten, ein im Vergleich zu den bis zu 80 Erdhütten umfassenden Standorten in Landsberg und Kaufering eher kleineres Häftlingslager.
Die Luftaufnahme zeigt aber auch noch etwas anderes: drei fast fertiggestellte Wohngebäude südlich der Straße von Geltendorf nach Türkenfeld. Die Rohbauten wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der „Bayerische Werkstätten GmbH“gekauft, einem Unternehmen, das Kinder- und Handtransportwagen und Metallwaren herstellte und Fahrräder instand setzte. Als der Betrieb 1953 Konkurs anmeldete, erwarb ein Unternehmer zwei der drei Häuser und siedelte dort eine Leichtbauplatten- und Maschinenfabrik an, in der bis heute Dämmstoffe hergestellt werden.
Gedacht waren die drei Wohnhäuser freilich für einen ganz anderen Zweck. Sie waren Teil eines ab 1943 entwickelten Plans, im Raum Landsberg einen riesigen Rüstungskomplex mit drei Werken für den Bau von Kampfflugzeugen zu errichten. Für den Standort Landsberg sprachen damals insbesondere folgende Vorteile: Man lag zum Zeitpunkt der Planung weit genug von den Bomberbasen in Großbritannien entfernt, hier fand man genügend Kies als Rohstoff für die Betonbauten, und der Raum zwischen
Wohnungen entlang der Eisenbahnstrecke
Augsburg, München und dem Allgäu bot eine ausreichende Zahl an Arbeitern, zudem war mit den Flugzeugbauern Dornier und Messerschmitt bereits Luftfahrt-Expertise vorhanden, fasst Gerhard Roletscheck zusammen. Allein in den drei geplanten Fabriken in Raum Landsberg (Decknamen Walnuss II, Weingut II und Diana II) sollten 90000 Menschen arbeiten. Für die dafür notwendigen Arbeiter und deren Familien mussten auch Wohnungen geschaffen werden. Dies sollte entlang der Eisenbahnstrecken von München ins Allgäu und von Augsburg nach Schongau geschehen, erklärt Roletscheck.
Geplant waren die Siedlungen meist am Rand von Waldgebieten, sie sollten so gestaltet sein, dass die Bewohner sich auch etwa durch Kleintierhaltungen teilweise selbst versorgen konnten. Sehr weit kam das Projekt in den letzten Kriegsmonaten nicht mehr. So standen in Türkenfeld von den geplanten neun Wohnhäusern bei Kriegsende drei im Rohbau.
Eine weitere kleine Siedlung nach demselben Muster bestand bei Türkheim im Unterallgäu. Dort befand sich nördlich des Bahnhofs auch das Kauferinger Außenlager VI, das ziemlich die gleiche Größe hatte wie das bei Türkenfeld angefangene Lager V. Vier der sieben begonnenen Wohngebäude für künftige Arbeiter in den Flugzeugwerken wurden fertiggestellt, nach dem Krieg wurden sie als Kreisseniorenheim genutzt. Nach dem in den 2000er-Jahren erfolgten Abriss wurden dort Wohnhäuser errichtet.