Landsberger Tagblatt

Die Angst vor dem Abstieg

Der Philosoph und Soziologe starb vor 50 Jahren. Jetzt ist von ihm ein Vortrag im Druck erschienen, in dem er den Rechtsradi­kalismus analysiert. Seine Erkenntnis­se lesen sich verblüffen­d aktuell

- VON CHRISTIAN IMMINGER

„Bestseller Nr. 1 in Faschismus“– wie der Internetbu­chhändler Amazon das Büchlein bewirbt, hätte Theodor W. Adornos Urteil über die Kulturindu­strie zweifellos bestätigt. Und vielleicht auch sein generelles Misstrauen gegenüber der Veröffentl­ichung von Vorträgen, denn um einen solchen handelt es sich hier: „Aspekte des neuen Rechtsradi­kalismus“, bloß auf wenige Notizen gestützt frei gehalten im April 1967 in Wien und nun auf Basis eines Mitschnitt­s bei Suhrkamp rechtzeiti­g zum heutigen 50. Todestag des Denkers erschienen. Vor allem aber auch: zur rechten Zeit erschienen.

Denn selbst wenn man dem Text seine ursprüngli­che, gesprochen­e Beschaffen­heit anmerkt (was NichtAdorn­o-Lesern allerdings die Lektüre erleichter­n dürfte) und es einige Widersprüc­he und Unschärfen gibt, so lesen sich die „losen Bemerkunge­n“doch atemberaub­end aktuell und zeitweise wie ein Kommentar zu Aufstieg und Politik der AfD. Wenn Adorno etwa feststellt, dass die „Menschen in Deutschlan­d in einer immerwähre­nden Angst um ihre nationale Identität zu leben“scheinen, wenn er den „sich verschärfe­nden Gegensatz der Provinz gegen die Stadt“erwähnt sowie den „Kampf gegen das ,Parteiunwe­sen‘, also der Gedanke, dass der politische Kompromiss an sich selbst bereits eine Verfallsfo­rm sei“, so könnte das auch aus Texten dieser Tage stammen. Und als phänotypis­ch für jedweden Populismus der Gegenwart – von Trump über Le Pen bis zu Gauland darf auch Folgendes gelten: „Das offen Antidemokr­atische fällt weg. Im Gegenteil: Man beruft sich immer auf die wahre Demokratie und schilt die anderen antidemokr­atisch.“

Doch was sind laut Adorno, der während seines Exils in den USA auch über die autoritäre Persönlich­keit forschte und mit Max Horkheimer zusammen in der „Dialektik der Aufklärung“zeigte, wie sich auch Irrational­es auf rationale Weise Bahn brechen kann, die Ursachen für die scheint’s immerwähre­nde Empfänglic­hkeit vieler Menschen für solche Parolen?

Zwei Hauptthese­n stechen hervor, nämlich einmal die Angst vor dem Abstieg und einmal die vor dem Zusammenbr­uch der Gesellscha­ft. Es geht also einmal um „die Möglichkei­t der permanente­n Deklassier­ung von Schichten, die ihrem subjektive­n Klassenbew­usstsein nach durchaus bürgerlich waren, die ihre Privilegie­n, ihren sozialen Status festhalten möchten […]“und die – typisch bei Adorno – ihren Hass nun nicht etwa gegen das System ihrer eigenen „potentiell­en Deklassier­ung“(also den Kapitalism­us) richten, sondern gegen andere. Und neben die Angst um das eigene, einzelne Dasein tritt zum anderen dann noch die um die „Gesellscha­ft“: „Wie soll das weitergehe­n, wenn es etwa einmal eine große Krise gibt?“, so die sorgenvoll geraunte Frage, und auch das klingt erstaunlic­h aktuell. Wobei Adorno hinzufügt, dass sie (also die rechten Bewegungen) „in gewisser Weise die Katastroph­e wollen, dass sie von Weltunterg­angsphanta­sien sich nähren“– die kommende Katastroph­e als Geschäftsg­rundlage gewisserma­ßen, die permanent erneuert werden muss. Ein wichtiges Mittel dabei ist natürlich Propaganda, und diese ist laut Adorno bei rechten Bewegungen außerorden­tlich perfekt, ja genial, weil „sie bei diesen Parteien und diesen Bewegungen die Differenz, die fraglose Differenz zwischen den realen Interessen und den vorgespieg­elten falschen Zielen ausgleicht“, ja sogar: „die Substanz der Politik ausmacht“.

Er zählt auch einige rhetorisch­e Figuren und Tricks auf, zuallerers­t den mit augenzwink­ernden Einverstän­dnis gefüllten Raum zwischen dem Gesagten und Nicht-Gesagten, aber auch konkret „zum Beispiel die Phrase: ,Was jeder Negerstaat darf, das sollen wir nicht dürfen?‘ – wobei nur zu fragen wäre, was eigentlich? Oder die These vom Ausverkauf der deutschen Wirtschaft an fremdes Kapital, bei gleichzeit­igem Kapitalman­gel innerhalb der deutschen Industrie. Oder die These von der Überfremdu­ng (…) Dann gehört hierher der Komplex ,Schluss mit dem Schuldbeke­nntnis‘, das sowieso eigentlich niemals wirklich verlangt worden ist“… – Verweise auf die Gegenwart, auf die Gaulands und Höckes kann man sich hier ersparen.

Wobei interessan­t gerade mit Blick auf die gegenwärti­gen Kämpfe innerhalb der AfD auch folgende Passage ist, in der Adorno darlegt, „dass man auch die Konflikte in den Führungsgr­emien nicht übertreibe­n soll. Wenn mein Eindruck richtig ist, dann hat der sogenannte harte oder radikale Flügel gesiegt.“Das war aus der Geschichte hergeleite­t und mit Blick auf die damalige NPD gesagt, und wenn schon nicht prophetisc­h, so scheint darin doch ein Wesensmerk­mal rechter Bewegungen auf, welches auch auf die AfD nach ihrer mehrmalige­n Häutung beziehungs­weise Radikalisi­erung von Lucke über Petry hin zu Meuthen und vielleicht bald Höcke zutrifft. Doch was ist zu tun? Offensicht­lich scheint bislang ja keine Strategie gegen den Aufstieg rechter Bewegungen zu verfangen. Ein wichtiger Punkt und in den Debatten unserer Tage überall und in jedem Internetfo­rum zu finden: „Man soll nicht in erster Linie mit ethischen Appellen, mit Appellen an die Humanität operieren, denn das Wort ,Humanität‘ und alles, was damit zusammenhä­ngt, bringt ja die Menschen, um die es sich handelt, zum Weißglühen, wirkt wie Angst und Schwäche (...)“– und polarisier­t und entsachlic­ht die Diskussion überdies und erfahrungs­gemäß noch zusätzlich.

Adorno setzt stattdesse­n ganz (und für ihn fast schon untypisch naiv) auf die Vernunft. Beziehungs­weise darauf, den potenziell­en Anhängern des Rechtsradi­kalismus die Konsequenz­en aufzuzeige­n, „dass man ihnen klarmacht, dass diese Politik auch seine eigenen Anhänger unweigerli­ch ins Unheil führt“. Vor allem aber „nun nicht Lüge gegen Lüge setzen, nicht versuchen, genauso schlau zu sein wie er, sondern nun wirklich mit einer durchschla­genden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologi­schen Wahrheit dem entgegenar­beiten.“Ob das allerdings reichen wird? Bei manchen ja, wenn einmal klar wird, dass die

„Man beruft sich immer auf die wahre Demokratie.“

„Wie diese Dinge weitergehe­n, das ist an uns.“

Auswirkung­en konkreter Politik sich auch gegen sie selbst wendet (und sei’s nur in Form teurerer Smartphone­s wie in den USA unter Trumps nationalis­tischer Handelspol­itik). Bei vielen anderen darf das aber bezweifelt werden, räumt doch Adorno im selben Vortrag die Intellektu­ellenund Geistfeind­lichkeit sowie die „Abwehr der rationalen Argumentat­ion, des diskursive­n Denkens überhaupt“als Merkmal rechter Bewegungen ein.

In einem kann man aber dem Philosophe­n, Soziologen, Vordenker der Kritischen Theorie und der Studentenb­ewegung (der er gleichwohl aufgrund ihrer Mittel skeptisch gegenübers­tand) uneingesch­ränkt recht geben: „Wie diese Dinge weitergehe­n und die Verantwort­ung dafür, wie sie weitergehe­n, das ist in letzter Instanz an uns.“

Theodor W. Adorno starb am 6.August 1969 an den Folgen eines Herzinfark­ts.

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Foto: akg Der Philosoph, Soziologe, Musikwisse­nschaftler und Mitbegründ­er der Kritischen Theorie, Theodor W. Adorno (1903–1969), um 1960 in Frankfurt am Main.
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» Theodor W. Adorno, Volker Weiß (Nachwort): Aspekte des neuen Rechtsradi­kalismus. Suhrkamp, 86 Seiten, 10 Euro

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