Landsberger Tagblatt

Wie viele Menschen verträgt der Grünten?

Waren das Zeiten, als noch die Lifte fuhren. Nun will ein Investor in Rettenberg neue Bergbahnen bauen. Eine Chance für den Tourismus, sagen Befürworte­r. Naturzerst­örung und Überlastun­g, kritisiere­n die Gegner. Über ein Projekt, das ein Dorf entzweit

- VON MICHAEL MANG

Rettenberg „Außer Betrieb“steht auf dem Schild, das den Weg zum Liftparkpl­atz weist. Noch parken nur wenige Autos auf der Kiesfläche. Ja, wer früh genug aufsteht, hat den Grünten fast für sich alleine. Später werden Fahrzeuge den Platz füllen und die Wanderer in Gruppen den Berg hinaufströ­men. Nicht mit der Bergbahn. Die fährt schon lange nicht mehr. Die Schilder am Wegesrand, die für die „Rodelgaudi“am Grünten werben, sind verblichen.

Jetzt, um 7 Uhr morgens, ist die Luft noch angenehm kühl und in Kranzegg, im Dorf am Fuße des Berges, das zu Rettenberg gehört, ist es noch ruhig. „Ferienhaus zu vermieten“steht auf einem Plakat, das an einem Balkongelä­nder hängt. Ein erster, steiler Anstieg führt an einem rauschende­n Wildbach entlang, danach lichtet sich der Nebel und hinter den Bäumen tauchen der Grünten-Gipfel und der 94 Meter hohe, rot-weiße Sendeturm auf, der zum Wahrzeiche­n des Bergs geworden ist. Die Stahlstütz­en der alten Sessellift­e und Schlepper ragen aus den Alpwiesen. Um sie herum liegen Berggasthö­fe und Alphütten.

Früher lebten die Wirte hier vom Skibetrieb. Seit 1960 liefen die Anlagen. Generation­en von Oberallgäu­ern lernten hier das Skifahren. Bis zur Wintersais­on 2016/17 – dann war Schluss. Der frühere Besitzer und die Bürger der Gemeinde hatten ihre ganze Hoffnung in einen Schweizer Investor gesetzt, der versprach, 80 Millionen Euro am Grünten zu investiere­n. Doch der entpuppte sich als Hochstaple­r und für die Lifte gab es keine Zukunftspe­rspektive mehr. So standen die Anlagen in der Wintersais­on 2017/18 das erste Mal seit Jahrzehnte­n still und ein Insolvenzv­erwalter suchte per Anzeige Interessen­ten, die willens sind, am Berg zu investiere­n.

Mit der Unternehme­rfamilie Hagenauer, die bereits die AlpseeBerg­welt in Immenstadt betreibt, wurde 2018 schließlic­h ein Investor gefunden. Im Mai gaben sie bekannt, das Gebiet für 30 Millionen Euro modernisie­ren zu wollen, und stellten ihre Pläne für eine „Grünvor: Sieben alte Anlagen werden abgebaut, zwei neue Bergbahnen und ein Schlepplif­t errichtet. Zudem soll die Grüntenhüt­te durch eine moderne Gastronomi­e ersetzt und mit einer „Walderlebn­isbahn“eine Attraktion für den Sommer geschaffen werden. Wurden die Pläne bei zwei Bürgervers­ammlungen noch mit viel Applaus begrüßt, entbrannte schon bald ein Streit um den „Wächter des Allgäus“, wie der Grünten genannt wird.

Kühe grasen gelassen weiter, als der Wanderer ihren Weg kreuzt. Von hier aus betrachtet, sieht Kranzegg im Tal friedlich aus. Doch das Dorf ist zwischen Gegnern und Befürworte­rn des Grünten-Projekts tief gespalten.

36 Stunden vorher ist es im Saal des Gasthofs Adler-Post eng geworden. Über 200 Rettenberg­er sind zum Informatio­nsabend der Bürgerinit­iative, die sich für das Projekt einsetzt, gekommen. Im großen Saal im Obergescho­ss sind alle Stühle besetzt, sogar auf den Bierbänken am Fenster ist fast kein Platz mehr frei. Von hier aus kann man den Grünten sehen, der sich neben dem Dorf erhebt. Drinnen ist die Luft stickig, aber die Stimmung gut. Es gibt Beifall für das Grünten-Projekt.

Die Gemeinde Rettenberg lebt vom Geschäft mit den Urlaubern – das jahrzehnte­lang eng mit den Grünten-Liften verbunden war. Auch für die Vermieter und die drei Brauereien, die es im Dorf gibt, ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequ­elle. Deshalb hat sich im Ort inzwischen eine Bürgerinit­iative formiert, die für das Projekt kämpft. Gruppe „Zukunft Grünten – Wir für den Berg“hat auf ihrer Internet-Seite Aussagen von Einheimisc­hen zusammenge­tragen. Ein Landwirt und ein Alpmeister kommen zu Wort, ein Brauereich­ef und ein Jäger, ein Touristike­r, ein Hüttenwirt und ein Vermieter. Sie alle erklären, warum die „GrüntenBer­gwelt“wichtig für das Dorf und den Tourismus ist. „Wir wollen zeigen, dass es nicht nur Gegner, sondern auch Befürworte­r gibt“, sagt Angelika Soyer. Die Rettenberg­erin ist Landwirtin, Vermieteri­n und Vorsitzend­e des Vereins „Mir Allgäuer – Urlaub auf dem Bauernhof“. Ihre Gäste fragen schon, wann die Lifte am Grünten wieder laufen. Und sagt dann: „Wir sind keine Retter des Grüntens, weil der Berg von niemandem gerettet werden muss.“Dafür gibt es viel Applaus.

„Rettet den Grünten“heißt die Bürgerinit­iative der Projektgeg­ner. Auch zu ihrem Treffen zwei Wochen zuvor in der wenige Kilometer entfernten Kreisstadt Sonthofen kommen rund 200 Personen – Bürger aus Rettenberg, Grundstück­sund Alpbesitze­r, Vertreter von Bund Naturschut­z und „Fridays for Future“. Auch der Freundeskr­eis Riedberger Horn ist dabei, der sich erfolgreic­h gegen das umstritten­e Bergbahn-Projekt gestemmt hat.

Max Stark, der Sprecher der Projekt-Gegner, bezeichnet sich selbst als Naturliebh­aber und Bergsteige­r. Von seiner Terrasse in Sulzberg aus kann er auf den Grünten schauen. „Die Pläne werden uns als naturvertr­ägliches Konzept verkauft, die aus Heimatlieb­e umgesetzt werden“, sagt Stark. „Dazu passen aber Rollten-Bergwelt“ und Beschneiun­gsanlagen nicht.“Die Bürgerinit­iative hat ein Leitbild mit 15 Punkten aufgestell­t: Darin fordert sie Tourismus mit Maß, eine Lösung für die Verkehrspr­obleme und den Verzicht auf den Sommerbetr­ieb, der zu einer Überlastun­g des Berges führen würde.

Wer den Weg Richtung Gipfel weitergeht, erreicht nach einer Stunde das Plateau am Fuße des Gipfels. Trampelpfa­de schlängeln sich an den Liften entlang. Mitten auf der Alpwiese steht eine große Skigebiets-Karte, dahinter war jahrelang der Ausstieg des Berglifts. Die alten Schlepplif­te sollen abgerissen werden, auch der Gipfellift, unter dem gerade die Rinder weiden, soll verschwind­en. Geplant ist zudem ein Besucherle­nkungskonz­ept für den Grünten, das Rettenberg gemeinsam mit den Nachbargem­einden Burgberg und Wertach umsetzen will. Wege sollen aus- und Trampelpfa­de zurückgeba­ut werden, sagt der stellvertr­etende Bürgermeis­ter Thomas Tanzer. Damit dort bald wieder die Kühe grasen können. Der Rettenberg­er Gemeindera­t steht hinter den Plänen, auch die Grünen. Die Gemeinderä­te müssten aber auch mit Anfeindung­en leben, erzählt Tanzer. „Wir sind zum Rücktritt aufgeforde­rt worden und uns wurden Abhängigke­iten unterstell­t.“

Auf 1477 Metern erreicht man die Grüntenhüt­te. Ein Hund schießt wild bellend hinter einer Holzhütte hervor und stellt sich dem Besucher in den Weg. Noch ist die Terrasse leer. Auf den Bierbänken werden später mehrere hundert Gäste Platz nehmen. Die Hütte ist bei BergsteiDi­e gern ebenso beliebt wie bei Tourengehe­rn. Deswegen ist ihr Umbau ein großer Streitpunk­t. Das zweite Thema, an dem sich der Streit um den Grünten entzündet, ist die „Walderlebn­isbahn“, die geplante Sommerattr­aktion. Eine drei Kilometer lange Seilrutsch­e, an der die Menschen zwischen Bäumen ins Tal rauschen können.

„Waldzerstö­rungsbahn“nennt Julia Wehnert, Geschäftsf­ührerin der Bund-Naturschut­z-Kreisgrupp­e Kempten-Oberallgäu, die Pläne. Von ihrem Büro in Immenstadt­Bühl hat sie einen schönen Blick auf den Großen Alpsee und die zahlreiche­n Passanten, die an der Seepromena­de flanieren. Im Regal über ihrem Schreibtis­ch stehen schwere Ordner – gefüllt mit Stellungna­hmen zu Bergbahnpr­ojekten. „Wir haben nicht alle abgelehnt“, betont Wehnert, 55. So hatte der Bund Naturschut­z beispielsw­eise keine Einwände gegen den Neubau der Nebelhornb­ahn in Oberstdorf – wohl aber gegen die Grünten-Pläne.

Es ist nicht nur die „Walderlebn­isbahn“, die die Naturschüt­zer stört, sondern der Sommerbetr­ieb der Zehner-Kabinenbah­n. Die neuen Bergbahnen liegen – anders als beim umstritten­en Projekt am Riedberger Horn – nicht in der höchsten Schutzkate­gorie C des Alpenplans. Aber sie befördern die Besucher direkt an die Grenze zum Schutzgebi­et. Wehnert befürchtet deshalb negative Folgen für Tiere und Pflanzen am Grünten.

Im Gasthof Adler-Post hat die Familie Hagenauer an einem Tisch mitten im Saal Platz genommen. Die Investoren wohnen in der Gemeinglid­er de, sind in Vereinen aktiv und im Dorf bekannt. Wenn die Vertreter der Bürgerinit­iative sie nach vorne bitten, um Fragen zu beantworte­n, dann ist man beim „du“.

„Es sind schon viele Menschen da und durch die Grünten-Bergwelt werden noch mehr Menschen kommen“, sagt Anja Hagenauer. „Aber es geht darum, die Besucher gut zu lenken.“Die 22-Jährige will gemeinsam mit ihrem Bruder langfristi­g ins Geschäft ihrer Eltern einsteigen. Das Projekt am Grünten ist für sie eine Chance. Auch ihr Vater Martin Hagenauer, 51, ergreift an diesem Abend das Wort. Er erklärt, dass die „Walderlebn­isbahn“noch einmal neu geplant wurde. Sie soll jetzt im oberen Bereich nicht mehr durch den Tobel verlaufen, den die Naturschüt­zer für besonders schützensw­ert halten. Über die Kritik an der Bahn sagt er: „Es kann eine andere

Generation­en haben hier das Skifahren gelernt

An einem kilometerl­angen Seil rutscht man ins Tal

Attraktion sein, aber eine Attraktion brauchen wir, um 30 Millionen Euro zu investiere­n.“

Hagenauer arbeitet gerade mit Planern und Architekte­n an den ersten Bauanträge­n, die er in zwei Monaten einreichen will. Dann liegt das Projekt in der Hand der Genehmigun­gsbehörden. Der Kampf um den Grünten wird wohl weitergehe­n, egal wie die Entscheidu­ng ausfällt: Die Bürgerinit­iative der Gegner bereitet weitere Informatio­nsabende vor. Der Bund Naturschut­z will sich die Pläne genau anschauen und – falls es notwendig ist – auch rechtliche Schritte einleiten. Ein Bürgerents­cheid über das Projekt scheint wahrschein­lich.

Auf den letzten Metern hoch zum Grünten wird es steil. Auf einer Geröllpist­e geht es am alten Gipfellift vorbei, ein Stahlseil ist in den Stein geschlagen. Dann taucht hinter einem Felsen der Gipfel auf, auf 1738 Metern. Jetzt, gegen 9 Uhr, ist es noch menschenle­er. Später werden sich hier die Wanderer drängen.

Wenn man hier oben sitzt und den Blick über das beeindruck­ende Panorama schweifen lässt, kann man alle Seiten ein wenig verstehen: Alle, die heraufstei­gen wollen. Die Menschen, die den Berg beschützen möchten. Und die, die den Grünten für sich allein haben wollen.

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Fotos: Matthias Becker Die Grüntenhüt­te am Fuße des Gipfels ist bei Wanderern beliebt, aber in die Jahre gekommen. Deshalb will ein Investor sie jetzt abreißen und neu bauen.
 ??  ?? Noch stehen die Grünten-Lifte oberhalb des Rettenberg­er Ortsteils Kranzegg still. Bald soll hier eine neue Bergbahn gebaut werden.
Noch stehen die Grünten-Lifte oberhalb des Rettenberg­er Ortsteils Kranzegg still. Bald soll hier eine neue Bergbahn gebaut werden.

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